04 - Winnetou IV
bezeichnende Episoden, die ich mit ihm erlebt hatte; Pappermann berichtete über die Art und Weise, in welcher er ihn kennengelernt hatte, und der ‚Junge Adler‘ schilderte in verschiedenen Charakterzügen den tiefen Einfluß, den der Verstorbene auch noch nach seinem Tod auf die Indianer, besonders aber auf die Apatschen und die ihnen verwandten Völkerschaften äußerte. Die beiden Enters hörten nur zu. Sie sprachen nicht, kein Wort, aber man sah ihnen an, wie ganz und gar sie bei der Sache waren. Das freute mich. Sie hatten wahrscheinlich von Seiten ihres Vaters und seiner Genossen soviel Feindseliges über mich und Winnetou gehört, daß es ihnen gar nichts schaden konnte, jetzt einmal etwas Besseres und Richtigeres zu erfahren. Der ‚Junge Adler‘ fühlte in seiner Feinsinnigkeit, welche stillen Absichten ich während dieses Gespräches mit dem Brüderpaar verfolgte, und er ging auf diese Absichten ein, indem er mich in dem Bestreben, ihren Haß in Achtung umzuwandeln, unterstützte.
Das Abendessen brachte hierin eine nur kurze Unterbrechung. Als es vorüber war, griff Pappermann nach einer der Zigarren, von denen er sich aus Trinidad einen Vorrat mitgenommen hatte. Die beiden Enters zogen, dies sehend, ihre kurzen Pfeifen und die Tabaksbeutel aus den Taschen. Sie schauten fragend zu dem Herzle herüber und bekamen die gewünschte Erlaubnis bereitwillig zugenickt. Der ‚Junge Adler‘ rauchte nicht. Er behauptete, nur bei Beratungen zu rauchen, und zwar nur aus dem Kalumet, sonst nicht. Was mich betrifft, so weiß man, daß ich sehr stark rauche. Ich gestehe sogar ein, daß ich der stärkste von allen Rauchern war, die ich kennengelernt habe. Jetzt bin ich es nicht mehr. Es sind nun fünf Jahre her, da bat mich das Herzle, nicht mehr soviel zu rauchen. Sie meinte, ich habe meinen Lesern noch außerordentlich viel zu sagen und müsse also trachten, solange wie möglich zu leben. Da legte ich die Zigarre, die ich im Mund hatte, weg und sagte: „Das ist die letzte gewesen im Leben; ich rauche nie wieder!“ Warum hätte ich meiner Frau nicht gehorchen sollen? Sie hatte doch recht! So stand ich also nun auf demselben Punkt wie der ‚Junge Adler‘: Höchstens nur noch bei indianischen Beratungen zu rauchen, und zwar aus dem Kalumet, sonst nie! Trotzdem fällt es mir nicht ein, die anregende Wirkung einer guten, verständig genossenen Zigarre oder Pfeife zu leugnen, und ebensogut ist mir sehr wohl bekannt, daß unsere alltägliche Phantasie am liebsten und wohl auch am bequemsten auf Tabakswölckchen aus der Tiefe in die Höhe steigt. Das Gedächtnis scheint geöffnet und die Seele zur Mitteilung bereitwilliger zu werden. Das beobachtete ich jetzt auch am ‚Jungen Adler‘. Er rauchte zwar nicht selbst, aber seine Hand spielte mit den Ringeln und Ringen, die der neben ihm sitzende Pappermann seinen Lippen entgleiten ließ. Er sog den Duft von dessen Zigarre mit Behagen ein und schien hierdurch eine ganz andere Gedankenrichtung und Ausdrucksweise zu bekommen. Es ist gewiß mehr als sonderbar, daß der freie Indianer niemals zum Gewohnheitsraucher wird und doch, oder vielleicht grad deshalb, den besseren und feineren Wirkungen des Nikotins zugänglich ist. Er raucht nur in besonders wichtigen und heiligen Augenblicken.
Der ‚Junge Adler‘ besaß ein reiches Innenleben; aber er war schweigsam. Heut trat er zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, ein wenig aus sich heraus, aber auch nur sehr vorsichtig, und so nach und nach. Von sich selbst sprach er nicht, sondern ausschließlich nur von Winnetou, und ich hatte das Gefühl, daß es der Einfluß des narkotischen Duftes war, der ihm die Lippen öffnete. Das Herzle benutzte diese Gelegenheit zu einer Frage, deren Beantwortung ihr schon seit unserem kurzen Aufenthalt am Kanubisee auf dem Herzen lag. Der junge Apatsche hatte soeben von dieser unserer Begegnung mit der schönen Aschta gesprochen, da fragte meine Frau:
„Ich sah den Stern auf ihrem Gewand, und ich sehe ihn auch hier bei Euch. Was ist es mit diesem Stern? Und was ist es mit ‚Winnetou‘ und ‚Winnetah‘? Oder dürft Ihr es nicht sagen? Ist es ein Geheimnis?“
Er schloß für kurze Zeit die Augen. Dann öffnete er sie wieder und antwortete:
„Es ist kein Geheimnis. Jedermann darf es hören. Ja, wir wünschen sogar, daß alle Welt es erfahre und dasselbe tue wie wir. Aber soll ich grad hier davon sprechen und grad jetzt?“
Während dieser Worte berührte sein Blick die beiden Enters. Ich
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