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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Königin Marimeh kamen, um dann nicht wieder zu erscheinen. Habt ihr das begriffen, ihr, seine roten Brüder? Habt ihr begriffen, daß es keinem Volk erlaubt ist, Kind zu bleiben? – Daß ihr einst Kinder waret und nur darum dem Untergang zugetrieben wurdet, weil ihr nicht aufhören wolltet, Kinder zu sein? Habt ihr begriffen, daß ihr als Kinder eingeschlafen seid, um nun nach schweren Niagaraträumen als Männer zu erwachen? Habt ihr begriffen, daß ihr nun, wenn ihr nicht Männer werdet, für immer verloren seid? Habt ihr begriffen, was es heißt, ein Mann zu werden? Eine Persönlichkeit, die aus eigener Energie zu tun und zu handeln beliebt, ohne mit sich handeln zu lassen? Eine Persönlichkeit, die ihre Ziele kennt und nach ihnen strebt, ohne nach irgendeiner Seite abzuweichen? Habt ihr begriffen, wie es gesühnt werden muß, wenn Hunderte von kleinen und immer kleineren Indianernationen und Indianernatiönchen sich tausend Jahre lang untereinander bekämpfen und vernichten? Daß es ein millionenfacher Selbstmord war, an dem ihr zugrunde gegangen seid? Daß der Blut- und Länderdurst der Bleichgesichter nur eine Zuchtrute in der Hand des großen, weisen Manitou war, deren Schläge euch aus dem Schlaf zu wecken hatten? Daß ihr nur durch Liebe sühnen könnt, was ihr durch Haß verschuldet? Daß der Himmel eurer Ahnen verlorenging, sobald ein jeder rote Mann zum Teufel seines Bruders wurde? Und daß dieser Himmel sich nur dann wieder zur Erde neigt, wenn jeder rote Mann sich bestrebt, der Engel seiner Brüder zu sein, wie es war zu jener Zeit, in welcher Marimeh, die Königin, noch nicht gezwungen war, euch aufzugeben?“
    Das war ein langer, langer Satz, den ich gesprochen hatte, fast so, als ob eine ganze Menge von Zuhörern vorhanden sei, und doch waren ihrer so wenige. Aber es stand in Winnetous Brief, daß in meinem Herzen von heute an sein Puls mit dem meinigen schlagen werde, und so kamen mir Gedanken und Worte über die Lippen, die ich sonst vielleicht zurückgehalten hätte. Der ‚Junge Adler‘ stand vor mir, als ob sein Blick mir jedes einzelne Wort vom Mund nehmen wolle. Ich sah, daß er staunte und daß dieses Staunen wuchs. Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, so erklang seine verwunderte Frage:
    „Sagt, Mr. Burton, waret Ihr wirklich noch nicht bei Tatellah-Satah?“
    „Niemals“, antwortete ich.
    „Was habt Ihr aus seiner großen Büchersammlung gelesen?“
    „Nichts. Kein einziges Buch jemals gesehen, viel weniger gelesen.“
    „Sonderbar, höchst sonderbar! Auch von Winnetou könnt Ihr das nicht haben!“
    „Was?“
    „Die Gedanken, die Ihr soeben in Worte kleidet.“
    „Ein jeder Mensch hat seine eigene Gedankenwelt. Ich stehle nicht aus anderen Welten. Auch die Fragen, die ich Euch vorlegte, gehören mir. Es steht Euch frei, sie zu beantworten oder nicht.“
    „Ich antworte gern. Nicht nur durch das Wort, sondern auch durch die Tat. Ihr fragtet mich, ob wir begriffen haben. Vielleicht nicht alles, aber doch wohl das meiste. Der Beweis liegt hier.“
    Er deutete auf den zwölfstrahligen Stern auf seiner Brust und fuhr fort:
    „Mrs. Burton wünscht zu wissen, was das zu bedeuten hat, und ich antworte: Daß wir bereit sind, die Vergangenheit zu sühnen. Daß wir nicht länger hassen, sondern lieben wollen. Daß wir aufgehört haben, die Teufel unserer Brüder zu sein, und uns bemühen, des verlorenen Paradieses würdig zu werden. Kurz, das Gesetz von Dschinnistan soll wieder bei uns gelten. Wir wollen innig verbunden sein, nicht länger auseinander streben. Wir wollen uns umschlingen, so eng, daß keine Macht dazwischen treten, dazwischen greifen kann. Wir haben keinen Herrscher, der uns das befehlen könnte; wir befehlen es uns selbst. Von Tatellah-Satah, dem Meister, ging dieser Gedanke aus. Ich war der erste, den er zum ‚Winnetou‘ ernannte. Bald wurden es zehn, dann zwanzig, fünfzig, hundert; jetzt zählen sie schon auf tausende.“
    „Warum gabt Ihr Euch grad Winnetous Namen?“ fragte das Herzle.
    „Gab es irgendwo einen lieberen oder besseren? War Winnetou nicht ein Vorbild in der Erfüllung aller unserer Gebote und Verpflichtungen? Hatte er nicht alle diese Gebote erfüllt, ohne hierzu verpflichtet zu sein? Und vor allen Dingen die Hauptsache: Sind die Namen Winnetou und Old Shatterhand nicht bei der roten Nation zum Sprichwort geworden? Zum Symbol der Freundes- und der Menschenliebe, der Hilfsbereitschaft und der Aufopferung sogar bis in den Tod? Gab es

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