040 - Paris, Stadt der Sünde
verliert unser letztes Geld am Kartentisch und wird anschließend in einer schwarzen Messe dem Herrn der Finsternis geopfert.“
„Ich glaube nicht, dass man dem Herrn der Finsternis Menschenopfer bringt, Nanny“, versuchte Elinor sie zu beschwichtigen und ihr banges Herzklopfen zu beruhigen.
„Doch, das tun diese Frevler“, widersprach Nanny und nickte so heftig, dass ihr Rüschenhäubchen im silbergrauen Haar verrutschte. „Viele Frauen, die sich in sein Haus gewagt haben, sind spurlos verschwunden. Diese Menschen töten Jungfrauen und trinken ihr Blut.“
„Tja, wenn sie das Blut von Jungfrauen trinken, hat unsere Mutter ja nichts zu befürchten“, entgegnete Elinor in einem Anflug von Sarkasmus. „Jedenfalls steht fest, dass der vornehme St. Philippe sie entführt hat. Sie verspielt unser letztes Geld, betrinkt sich sinnlos und torkelt nach Hause, und wir dürfen sie wieder aufpäppeln.“
„Aber begreifen Sie doch, Miss“, fuhr Nanny händeringend fort. „Es ist unser letztes Geld. Und die Diamantbrosche ist auch verschwunden.“
Ein Frösteln rieselte Elinor über den Rücken. Das letzte halbwegs wertvolle Schmuckstück: kleine gelbstichige Diamanten mit Einschlüssen in einer schlichten Goldfassung. Für Notzeiten hatte sie die Brosche vor ihrer haltlosen, dem Glücksspiel und der Trunksucht verfallenen Mutter versteckt. Sie straffte die Schultern. „Wenn das so ist, muss ich sie zurückholen.“
Sie achtete nicht auf Nannys Wehklagen. Jacobs schwieg – er wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb. Lydia sprang auf. „Ich begleite dich, Nell.“
„Auf keinen Fall. Wenn ich mich in diese Lasterhöhle wage, weiß ich, dass mir nichts geschieht. Aber auf dich stürzen sich diese Wüstlinge wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe.“
„Ich finde, du überschätzt meine Reize“, entgegnete Lydia grinsend.
„Und du unterschätzt die Gefahr. Hast du nicht gehört, was Nanny sagt? Diese Teufel trinken das Blut von Jungfrauen!“ Elinors düsterer Tonfall verfehlte die erhoffte Wirkung leider völlig.
Lydia zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. „Du bist auch noch Jungfrau, es sei denn, du verbirgst ein Geheimnis vor mir. Also trinken sie auch dein Blut.“
Elinor bemühte sich, gelassen zu bleiben. „Das sind nur dumme Gerüchte. Dieser Comte feiert in seinem Haus ausschweifende Zechgelage, und seine Gäste frönen sündigen Lastern. Aber ich halte diese aristokratischen Bonvivants nicht für halb so gefährlich, wie alle Welt behauptet“, erklärte sie sachlich.
„Die schlachten Säuglinge ab“, steuerte Nanny mit zitternder Stimme die nächste Gräueltat bei.
„Sei still!“, befahl Elinor scharf. „Ich bin kein Säugling. Jacobs bringt mich zum Haus des Comte de Giverney, wir holen meine Mutter ab und sind vor Mitternacht wieder zu Hause.“
„Mit Verlaub, Miss, die Kutsche fuhr stadtauswärts“, erklärte Jacobs. „Ich denke, sie sind zu seinem Château gefahren.“
Elinor zwang sich zur Ruhe. „Und wo liegt dieses Château?“
„In der Nähe von Versailles, Miss. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es in einer Stunde.“
„Dann sind wir eben im Morgengrauen wieder zurück“, erklärte Elinor zuversichtlich.
„Und diesmal wird Mama ans Bett gebunden, verlasst euch drauf!“
„Und wie wollt ihr das Schloss erreichen?“, fragte Lydia. „Soweit ich weiß, haben wir weder Kutsche noch Pferd oder Geld, um eine Droschke zu mieten. Willst du zu Fuß gehen?“
Elinor wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Jacobs, worauf er wortlos die Stube verließ. „Jacobs kümmert sich darum“, antwortete sie gelassen. „Während unserer Abwesenheit macht ihr beide Mutters Zimmer sauber. Und wenn sie einen ihrer Tobsuchtsanfälle bekommt, werden wir ihre Tür absperren. Das hängt ganz davon ab, welche Mengen Gin sie getrunken hat.“
„Ich möchte nicht, dass du alleine fährst.“
„Ich begleite Sie“, erklärte die gute alte Nanny, die so gebrechlich und rheumatisch war, dass sie kaum gehen konnte. Aber ihre Schützlinge würde sie auch gegen ein Dragonerregiment verteidigen.
„Nein, Nanny“, wehrte Elinor sanft ab. „Bleib bitte hier, und kümmere dich um Lydia.“ Sie begegnete dem Blick der alten Kinderfrau in stummer Einvernahme. Falls Elinor und Jacobs durch widrige Umstände aufgehalten wurden, brauchte Lydia eine Beschützerin.
Nanny nickte bedächtig, und Elinor bemerkte die Tränen in ihren Augen. „Nun seid vernünftig, ihr zwei. Ich habe nicht vor,
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