Maltas Geheimnis
Prolog
Tunis, früher Nachmittag, Grand Hotel
Als der Mann das dunkle Zimmer betrat, war nur das Klappern der Pferdkutschen, draußen auf der Straße zu hören. Seine Schritte erzeugten keinen Laut und so merkte der Schlafende, dessen leises Schnarchen den Raum erfüllte, nichts von dem ungebetenen Gast. Der Fremde trug eine lange Tunika, deren weite Kapuze sein Gesicht fast vollständig verbarg. So leise wie er die Zimmertür geöffnet hatte, genauso leise schloss er sie wieder. Er zog sein Gewandt etwas hoch, damit es keine Geräusche beim Gehen erzeugte. Dabei kamen gepflegte Füße in teuren Ledersandalen zum Vorschein.
In der Dunkelheit seiner Kapuze verzog sich der Mund des Fremden zu einem spöttischen Lächeln. Er wusste, dass der alte Mann, der da schnarchend im Bett lag nicht so schnell aufwachen würde. Zu erschöpft musste er nach seiner langen Reise durch den Orient sein. Dies war der letzte Tage, an dem er sein Vorhaben ausführen konnte. War der vor ihm Liegende am kommenden Tag erst wieder in Valletta, käme er nicht mehr an ihn heran.
Bedächtig näherte er sich dem Schlafenden, der mit leicht geöffnetem Mund da lag. Im Vorbeigehen griff er eines der schweren, orientalischen Kissen, das dekorativ auf einem kleinen Diwan lag. Ein letztes Mal überdachte er seinen Plan und zögerte kurz. Dann aber sah er das markante, selbstgefällige Gesicht des Schlafenden und fasste seinen Entschluss: Dieser Mann würde seine Entdeckungen niemandem preisgeben. Das durfte nicht geschehen! Weder die Kirche noch sonst wer sollte davon erfahren.
Mit wenigen Schritten war er am Bett des Alten. Er hob leicht das Kissen.
Jetzt – oder nie.
In einer einzigen fließenden Bewegung drückte er dem Schlafenden das Kissen auf das ahnungslose Gesicht. Der Mann erwachte und begann sich zu wehren, wobei er dumpfe, erstickte Laute von sich gab.
Der Fremde aber war um einiges Stärker und stütze sich mit seinem ganzen Gewicht auf das Kissen.
»Ha! Vergiss es, alter Mann! Jesuiten, wie du, sollten keine angeblichen Missionsreisen unternehmen, sondern lieber mehr für den eigenen Körper tun. Vielleicht hättest du dann eine Chance gegen mich.«, zischte der Fremde vor sich hin, während die Gegenwehr immer geringer wurde.
Ein letztes Mal stöhnte der Liegende noch auf und sein Körper bäumte sich in einer letzten verzweifelten Bewegung auf, dann erschlaffte er und blieb reglos liegen.
Der Fremde hielt das Kissen noch einige Minuten lang auf das Gesicht des Liegenden gepresst. Danach legte er es wieder an seinen ursprünglichen Platz, schloss mit einer wischenden Bewegung die geöffneten Augen des Toten und strich das Bett glatt, sodass es aussah, als wäre er über Nacht sanft in den Tod hinüber geglitten .
Anschließend durchsuchte er sämtliche Gegenstände im Zimmer. Ausweise, Geld und Kleidung interessierten ihn nicht. Er suchte nach etwas Bestimmten. Ein kleiner Stein, leicht zu übersehen, und einige schriftliche Aufzeichnungen und Dokumente erweckten nach einigem Suchen sein Interesse. Er drehte den Stein in den Finger. Ein kleiner neunzackiger Stern mit einem kleinen Kreuz in der Mitte war darin eingeritzt. In sein Gesicht trat ein gieriger Ausdruck und er murmelte leise: »Weißt du überhaupt, was du da gefunden hast, alter Mann?« Doch der lag weiterhin reglos auf dem Bett.
Hastig verstaute er die Gegenstände in den Taschen seines Umhangs und bemühte sich, keine Spuren zu hinterlassen. Zum Schluss sah er sich noch einmal im Zimmer um, dann zog er die Kapuze noch tiefer ins Gesicht und schlich so unauffällig, wie er gekommen war, aus dem Zimmer hinaus.
Sicher würde es einige verwundern, dass der Tote keinerlei Unterlagen über seine Nachforschungen und Entdeckungen hinterlassen hatte, aber das war ihm egal. Die Nachwelt würde es zur Kenntnis nehmen – und wieder vergessen. So war es immer schon gewesen.
Als ein Dienstmädchen den toten Mann am nächsten Tag entdeckte und die Untersuchungen in diesem Fall begannen, wunderten sich wirklich einige über die Nichtexistenz der Unterlagen allerdings nur so lange, bis der Erste Weltkrieg begann, der alles andere überschattete. Zweifel an einem natürlichen Tod wurden von den ermittelnden Behörden nach kurzer Zeit zu den Akten gelegt und der Fall geriet in Vergessenheit.
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Ein Knall gefolgt von einem markerschütternden Schrei zerfetzte die Luft und Alishas Kopf fuhr ruckartig vom Küchentisch hoch. Gerade noch hatte sie gedankenverloren vor sich
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