0422 - Der Werwolf-Jäger
Bestie würde sich zeigen. Das wußte Michail Chirianow genau. Die Unruhe seiner Schlittenhunde hatte sich gesteigert. Sie waren von ihm gut dressiert worden. Wahrscheinlich wären sie schon längst geflohen, hätten sie in freier Wildbahn gelebt.
Ihr Angstgeheul durchdrang als unheimliche Tonfolge den kältestarren Wald.
Tagsüber war der Hochsitz ein guter Platz. In der Dunkelheit und bei den lauernden Gefahren würde es besser sein, wenn Chirianow sich wieder zu Boden begab.
Noch einmal warf er einen Blick in die Runde. Gern hätte er die Augen einer Katze gehabt, so aber starrte er in die eiskalte Schattenwelt des Waldes, ohne eine Bewegung zu erkennen.
Mit vorsichtigen Schritten kletterte er die Stufen der Holzleiter hinab. Er hatte sich die Latten geschlagen, auf ihnen lag eine Eiskruste, die das Laufen unsicher machte. Michail mußte achtgeben und hatte die Leiter noch nicht zur Hälfte hinter sich gelassen, als die Bestie auftauchte.
Sie mußte es geschickt angestellt haben, hatte sich mit den Schatten zwischen den Bäumen verbunden und griff nun an.
Sie war schnell, aber nicht lautlos. In seinem Rücken vernahm der Russe ein keuchendes Geräusch, Schnee knirschte unter den Pfoten, und der strenge Werwolfsgeruch erreichte seine Nase.
Gleichzeitig begannen die Schlittenhunde wie wahnsinnig zu heulen. Sie schrien ihre Not hinaus, und Michail mußte einfach springen, auf der Leiter war er wehrlos.
Er stieß sich ab.
Auch er fürchtete sich plötzlich. In dieser verdammten Lage war er hilflos, und als er mit den Füßen den Boden berührte, war die Bestie da. Noch befand sie sich in seinem Rücken, hielt die Pranken erhoben und schlug zu.
Chirianow stöhnte auf, als er die Krallen in seinem Rücken spürte. Sie rissen ihn zurück, so daß der Russe nicht dazu kam, seinen Bogen und die Silberpfeile einzusetzen.
Michail mußte zurück. Er versuchte, sich wenigstens auf den Beinen zu halten, rutschte jedoch aus und fiel. Zum Glück gegen einen Baumstamm, der seinen Fall vor dem Abrutschen ein wenig bremste.
Die Bestie hatte losgelassen und sich gedreht. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte er sie erkennen.
Ein furchtbares Untier stand vor ihm. Größer als er, pechschwarz, von der Finsternis kaum zu unterscheiden. Eine Schnauze, die weit aufgerissen war. In beiden Kieferhälften schimmerten weißgelb die spitzen Reißzähne, zwischen denen die lange Zunge wie ein Pendel schlug.
Dieses Untier hatte Panja gerissen!
Michail glaubte noch, das Blut seiner Frau auf dem Fell zu sehen, und dieser Glaube versetzte Berge. Er gab ihm die Kraft zurück, die nötig war, um gegen die Bestie bestehen zu können.
Als der Werwolf wieder zuschlug, hob er ein Bein und rammte ihm die Sohle in den Leib.
Ein Mensch hätte geschrien, der Werwolf nicht. Er mußte zurück, er keuchte, Geifer schäumte vor seinem Maul. Wahrscheinlich war es die Wut, die ihn überkam, und Michail setzte sofort nach.
Beide Fäuste erwischten das Untier. Sie bohrten sich so tief in das Fell, daß sie bis zu den Handgelenken darin verschwanden, und der Mann setzte noch einmal nach.
Diesmal war er es, der schrie. Er feuerte sich noch einmal an, wollte sich durch seine Attacke Mut machen und trieb das Untier noch weiter zurück. Was er kaum für möglich gehalten hatte, trat ein. Die Bestie verlor das Gleichgewicht und krachte in das eisstarre Unterholz. Es brach unter ihr zusammen. Der schwere Körper schlug zu Boden, drehte sich, und der Schnee wurde in die Höhe geschleudert.
Der Haß auf den Mörder übermannte Michail Chirianow. Er stieß einen wilden Schrei aus, der wie eine Fanfare durch den Wald hallte. Die gelben Augen des Killers sah er vor sich. Sie bewegten sich hektisch, denn der Werwolf war dabei, sich zu befreien und wieder aufzuspringen.
Jetzt handelte der Russe.
Liebend gern hätte er die Bestie mit den eigenen Händen umgebracht. Das war nicht möglich, er mußte zu seinen Waffen greifen und ließ den Bogen von der Schulter rutschen.
Dann schlug er seinen Arm nach hinten, packte einen der Pfeile und zog ihn aus dem Köcher.
Es waren geschmeidige Bewegungen. In den langen Monaten hatte er immer wieder geübt. Nur war er in dieser Nacht nicht so schnell, zudem trug er dicke Handschuhe, die das Auflegen des Pfeils erschwerten.
Das schien der Werwolf zu ahnen. Er steigerte seine Bemühungen und schleuderte Michail Schnee, Unterholz und Erde entgegen. Der Russe wurde irritiert, trotzdem ließ er nicht nach, spannte den
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