0422 - Der Werwolf-Jäger
schützten.
Und dort saß er stundenlang. Sein Blick glitt bis über den Waldrand hinweg zu den Trümmern der Hütte, die immer unschärfer geworden waren und schließlich von der Dämmerung völlig verschluckt wurden.
Die Dunkelheit fiel über das Land. Ein langer Abend, demdie Nacht folgen würde. Die Kälte nahm zu, die Welt schien noch mehr zu erstarren. Auch seine Hunde hatten sich verkrochen. Sie lagen in einer Höhle, unter dem Schnee und verborgen im Unterholz.
Wenn der Werwolf kam, würden sie ihn wittern und den einsamen Jäger warnen.
So oft man über den Schnee fluchte und ihn verwünschte, er hatte doch sein Gutes. Nie wurde es völlig dunkel. Die helle Fläche reflektierte das Restlicht, und die dem Horizont entgegenstrebende Weite wirkte dann wie ein dunkelblauer See.
Ein herrliches Bild für einen Fremden, aber der Mann in dem Baumhaus hatte sich längst daran gewöhnt. Es war seine Welt, in der er die Jahre verbracht hatte.
Und so wartete er.
Der Bogen hing über seiner Schulter, der Köcher ebenfalls. Aus ihm ragten die Schäfte der Silberpfeile. Er hatte die Pfeile selbst im Feuer des Kamins geschmiedet. Es war eine mühevolle Arbeit gewesen, die sich lohnen sollte, das nahm er sich jedenfalls vor.
Er wollte die Bestien ausrotten.
Niemand ließ sich blicken. Weder Mensch noch Tier überquerten zu dieser Zeit die Weite der Tundra. Am Himmel hatten sich die zusammenhängenden Wolkenbänke ein wenig verschoben, so daß der Mond Platz genug hatte, um hindurchzulugen.
Ein voller Mond. Ein bleicher Kreis, über den die grauen Schatten wanderten.
Werwolf-Wetter!
Michail schüttelte sich, als er daran dachte. Die Bestie hatte seine Frau am Tage überfallen und nicht erst die Nacht abgewartet. In den dunklen Wäldern hatte sie sich lange genug versteckt halten können. Sie wußte, daß sie gejagt wurde, und wieder dachte er an die geheimnisvolle Werwolf-Elite, von der die Menschen hinter vorgehaltener Hand sprachen. Und sie hatten auch von einem Fremden geredet, der sichdieser Elite entgegengestemmt hatte und sie vernichten konnte.
Bis auf Lupina…
War sie es vielleicht gewesen, die Panja getötet hatte? Michail schüttelte den Kopf, als wollte er die Erinnerung vertreiben. Nur nicht an die Vergangenheit denken, die Gegenwart und die nahe Zukunft waren wichtiger. Bald würde etwas geschehen, das spürte er genau.
Die Luft war sehr kalt geworden. Bei jedem Atemzug legte sie sich schwer auf die Bronchien.
Es wurde nie völlig still. Hin und wieder vernahm er die Geräusche. Mal ein Knirschen oder Schaben, wenn irgendwo in der Nähe – und für ihn nicht sichtbar – ein Tier vorbeihuschte. Auch brach manchmal ein Zweig oder Ast unter der schweren Last des Schnees.
Michail hatte sich auf der Sitzbank zusammengeduckt und den Kragen des Bärenfellmantels so hochgestellt, daß er bis über den Rand der Mütze reichte und der Mensch selbst so aussah wie ein Bär. Er wirkte wie jemand, der eingeschlafen war, aber er zuckte zusammen, als er ein ihm bekanntes Geräusch hörte.
Es war ein Knurren, vermischt mit dem heiseren Bellen. Der Werwolf-Jäger kannte seine Tiere sehr genau. Sie hatten sich gemeldet, und sie taten es nicht ohne Grund.
Da war etwas.
Michail drückte sich in die Höhe, aus dem Fell rieselten Schneeund Eiskörner. Bis dicht an die aus zwei Ästen bestehende Balustrade trat er heran und starrte lauernd in die Tiefe. Sein Blick war schräg nach links gerichtet.
Dort hatten die Hunde ihre Höhle gegraben, und von dort hörte er auch das warnende Jaulen.
Die Tiere hatten Angst. Sie spürten bereits die Aura des anderen, den unheimlichen, unsichtbaren Schatten des Werwolfs, der sich auf Beutezug befand.
Michail bewegte sich nach links, so daß der Bogen von seiner Schulter rutschen konnte. Er fing ihn auf, ballte die Hand in dem Fellfäustling zur Faust. So hielt er den Bogen fest.
Noch verließ er nicht seinen Hochsitz. Er wartete ab. Wenn der Werwolf kam, würde er seine Opfer wittern, und dazu gehörten sicherlich auch die Schlittenhunde.
Sie waren die Lockvögel!
Der einsame Jäger drehte sich auf seinem Platz, um in die Tiefe des Waldes blicken zu können.
Über dem Boden lagen die dunkelblauen Schatten. Wie Tücher hingen sie zwischen den schneebeladenen Bäumen, aber keiner der Schatten bewegte sich. Die Kälte hatte die gesamte Umgebung erstarren lassen. Sie drückte in der Dunkelheit noch stärker und wurde vom ebenfalls kalten Licht des Mondes begleitet.
Aber die
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