0422 - Der Werwolf-Jäger
gestapelt.
Michail stand auf.
Auch die Hunde hatten bemerkt, daß die Gefahr nicht mehr vorhanden war. Sie kamen zu ihm und rieben ihre Körper an seinen Beinen.
»Nie mehr wirst du töten, Bestie!« flüsterte Chirianow rauh. »Nie mehr. Das ist vorbei.«
Dann ging er. Seine Hütte war abgebrannt, die Frau ermordet, ihm blieb nichts mehr. Trotz der schwierigen Lage hatte er sich zu einem Entschluß durchgerungen.
Er würde an diesem Ort nicht länger bleiben. Vielleicht konnte er noch einen Teil der Habe auf seinen Schlitten laden. Er sah nach und fand nichts, außer dem kleinen Medaillon, das seiner Frau gehörte. Es war beim Kampf abgerissen worden. Michail fand es unter einem verkohlten Holzstück. Das Medaillon bestand aus zwei Metalldeckeln, die aufeinander lagen. Er klappte sie auf und betrachtete das Bild seiner Frau. Panja lächelte dort, hinter ihm lag sie starr im Schnee.
Rasch klappte er das Andenken zu und steckte es ein, bevor die Tränen kamen.
So starrte er in die Nacht und dachte daran, daß er Panja begraben mußte. Aber nicht jetzt, das hatte noch Zeit. Er bezeichnete sich selbst als Werwolf-Jäger. In dieser Eigenschaft hatte er eine Aufgabe zu erfüllen. Er mußte die anderen finden, und er mußte auch den Weg der Killer-Bestie zurückverfolgen.
Deshalb ging er zu seinem Schlitten. Er pfiff die Hunde heran, die sich ihm nur vorsichtig näherten. Auch sie hatten Blessuren davongetragen. Manches helle Fellstück war mit Blut besprenkelt, doch die Tiere konnten einiges vertragen. Sie waren zäher als Katzen.
»Tut mir leid«, sagte Michail, »aber wir werden in dieser Nacht noch eine Fahrt unternehmen müssen.«
Er wollte wissen, wo die Bestie hergekommen war. Vielleicht hatte sie einen Unterschlupf. Möglicherweise war sie nicht allein gewesen und hatte im Rudel gelebt.
»Ich werde es herausfinden«, flüsterte er. »Ich werde euch vernichten – alle…«
***
In der Einsamkeit der weiten Schneelandschaft wirkte die zuckende Flamme der Fackel wie der Schein einer fernen Hoffnung. Die Fackel gehörte Michail Chirianow. Er hatte sie angezündet und in die Halterung am Schlitten gesteckt.
Der Feuerschein tanzte über den Boden, wo sich die Spuren des Werwolfs abzeichneten.
Michail hatte lange gesucht und war schließlich fündig geworden. Er hatte auch den Ort gefunden, wo der Werwolf in den Wald getaucht war. Von dieser Stelle aus verfolgte er den Weg zurück.
Die drei Hunde liefen langsam. Er hatte es nicht eilig, irgendwann würde er sein Ziel erreichen. Zum Glück hatte es nicht geschneit. Die Spuren zeichneten sich deutlich im Schnee ab.
Sie führten in einer fast geraden Linie in die Weite des Landes hinein, wo der Begriff Zeit so unbedeutend zu sein schien.
Das galt auch für den Werwolf-Jäger.
Er hatte keine Eile. Allein nach dem Wechseln von Tag und Nacht und nach dem der Jahreszeiten richtete er sich. Sein Gesicht war wieder unter dem Tuch verborgen. Die Kälte drückte. Sie brachte alles Leben zum Erstarren, wenn man sich nicht bewegte.
Sogar durch das Fell des Bären drang sie, aber der Mann biß die Zähne zusammen.
Aufgeben gab es für ihn nicht.
Stunden vergingen. Längst war ein neuer Tag angebrochen, aber noch immer hielt ihn die Weite der Landschaft umfangen. Er passierte Wälder und war froh, daß die Spur des Werwolfs nicht hindurchführte.
Allmählich nahm die Dunkelheit eine andere Farbe an. Vom Osten her schob sich eine graue Wand voran, hinter der sich die fahle Sonne noch verbarg.
Ein neuer Tag begann.
Die Sonne zeigte sich auch nicht, als der einsame Mann ein schmales Waldstück erreichte, wo er die Hütte sah.
Er hielt die Tiere an.
Auf dem Schlitten richtete er sich auf und blickte der langen Spur nach. Sie lief geradewegs auf die Hütte zu. Dort mußte die Bestie gehaust haben. Als Mensch oder als Werwolf, das war hier die Frage.
Michail schnalzte mit der Zunge. Die Hunde kannten das Geräusch und zogen wieder an.
Auch ihre Bewegungen waren langsamer geworden. Schwerfällig bewegten sie ihre Körper durch den gefrorenen Schnee. Überall waren jetzt die Spuren zu sehen.
Tatzen zeichneten sich ebenso ab wie menschliche Fußabdrücke.
Als er bis auf ungefähr zehn Meter an die Hütte herangefahren war, ließ er die Hunde anhalten und stieg vom Schlitten.
Michail Chirianow war doppelt bewaffnet. Nicht nur mit Pfeil und Bogen, er trug auch noch sein Gewehr bei sich, das er in den Händen hielt. Sein Blick war lauernd. Müdigkeit verspürte er
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