0436 - Tanz auf dem Scheiterhaufen
die Worte. Das junge Mädchen hatte sich verändert. Es schien unter den heißen Flammen eine andere geworden zu sein. Metallisch blau schimmerte das Gesicht. Der Blick ihrer Augen war gnadenlos. Die Haut hielt dem Vergleich mit einer Maske stand.
Das war ihre Zeit!
Die Stunde der Hexen, die von altersher beschworene Walpurgisnacht, die der Menschheit schon soviel Angst gebracht hatte.
Bei jeder Bewegung rasselten die Ketten. Es war das Geräusch des Sieges, eines Triumphs über das Feuer.
Bei jedem Schritt stoben die glühenden Teile in die Höhe und zogen ihre Bahnen wie kleine Kometen.
Tina genoß ihren Sieg.
Der junge Mann konnte es nicht fassen. Wie auch die anderen wurde er ebenfalls von den Händen der Häscher gehalten, aber er fand sich damit nicht ab.
»Tina!« So brüllte er den Namen des Mädchens, das auf eine bestimmte Art reagierte.
Die aus dem Feuer Gestiegene schaute nur mehr nach unten. Dieses Senken des Kopfes, das mit einem kalten, eisigen Blick verbunden war, reichte als Antwort.
Gordon fragte nicht mehr. Ihm blieb nichts erspart, und er wußte, daß er auf Tina nicht mehr zählen konnte, deshalb senkte er den Kopf und starrte zu Boden.
Suko zuckte zusammen, als ihn jemand am Arm berührte. Er ging einen Schritt zurück, und gleichzeitig drehte er den Kopf. Seine Augen wurden groß, als er Shao erkannte.
Sie stand vor ihm, wollte etwas sagen, aber Suko legte ihr blitzschnell einen Finger auf die Lippen.
Die Chinesin verstand und nickte.
Suko krümmte den Finger. Shao drängte sich an ihn. Jetzt konnte sie reden. »Ich mußte einfach kommen!« hauchte sie. »Es war für mich unmöglich, zu bleiben…«
»Schon gut.«
»Und was geschieht jetzt?«
»Schau dir die Hexe an, die aus dem Feuer gestiegen ist. Die Große Mutter oder ihr Geist muß in ihr stecken. Sie hat diese an sich völlig normale Person radikal verändert. Zwar sieht sie aus wie ein Mensch, aber sie ist keiner mehr.«
»Was hat sie vor?«
Fast hätte Suko nach dieser Frage gelacht. »Sie will die Walpurgisnacht feiern.«
Shao ließ keinen Blick von Tina. »Und was bedeutet das?«
»Es wird mit dem Tod enden.«
Nach dieser Antwort schwieg die Chinesin. Noch kümmerte sich Tina nicht um die beiden. Sie wußten auch nicht, ob sie schon von ihr entdeckt worden waren, jedenfalls traf die aus dem Feuer Gestiegene keinerlei Anstalten, sich ihnen zuzuwenden.
Dafür handelten die Hexen. Sie gingen lautlos und mit den ausholenden Schritten von Ballettänzern auf ihre Königin Tina zu. Dabei hielten sie die Arme ausgestreckt. Niemand sprach ein Wort, aber in den Gesichtern stand die Gier zu lesen, etwas von der Kraft der Großen Mutter mitzubekommen.
Neben ihr stoppten sie.
Tina aber kümmerte sich nicht um sie. Vor dem Feuer war sie stehengeblieben. Als unheimlicher Schattenriß ragte sie in die Höhe. Jeder Schwung ihres Körpers wurde genau nachgezeichnet. Die Kälte in den Augen erinnerte an die Leere des Weltraums. Der Mund wirkte wie eine Sichel. Er stand halb offen.
Sie sprach nicht, aber sie bewegte ihren Kopf und nickte in die Richtung, wo Suko und Shao standen.
»Jetzt haben sie uns!« hauchte Shao.
Auch die fünf Hexen schauten dorthin, wo sich die beiden Menschen verborgen hielten.
»Menschenfleisch!« kreischte eine. »Ich rieche Menschenfleisch. So wie es der Teufel sagte. In der Walpurgisnacht wird die Macht der Hexen auf die Menschen übergehen…«
Sie hatte nicht gelogen, denn die anderen Hexen stimmten ihr zu, ebenfalls auch Tina.
»Nehmt sie euch!«
Sie sprach mit einer völlig fremden Stimme, die einen metallischen Unterton bekommen hatte.
Diesem Befehl kamen die Hexen nur zu gern nach. Gemeinsam stürzten sie vor, um das Werk der Vernichtung zu beginnen…
***
In der Vergangenheit spielte sich die Szene ab. Ich aber sah sie in der Gegenwart, verkleinert, jedoch detailgetreu.
Das schwarzhaarige Weib, in dem ein Teil der Macht der Großen Mutter steckte, verließ den Scheiterhaufen mit sicheren Schritten. Das Gesicht wirkte wie einlackiert, es zeigte eine dunkle Bläue und eine maskenhafte Starrheit. Sie war einmal ein Mensch gewesen, jetzt wurde sie nur mehr von der Kraft der Hölle beseelt.
Noch besaß ich Zeit, und so schaute ich mir auch die Umgebung an. Ich sah sogar die beiden Türme des Hexentors verschwommen im Hintergrund und vom düsteren Fackelschein umtanzt, der gleichzeitig über die Außenmauern einer alten Burg glitt und diesen ein unheimlich wirkendes Leben einhauchte.
Die
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