045 - Das verschwundene Volk
Ahnen an uns rächen.«
Die Männer des Ältestenrats sahen sich nachdenklich an. Natürlich wussten sie, dass die Macht der Ahnen nicht zu unterschätzen war, und Makeje hoffte, dass er sich mit diesem Argument zumindest etwas Zeit verschafft hatte.
Delketh legte den Fächer zur Seite. »Du glaubst also nicht, dass sie ein Yiet'zu ist, aber dennoch umnebelst du ihren Geist. Ist das nicht ein Widerspruch?«
»Nein«, sagte Makeje. »Ich glaube, dass sie kein Yiet'zu ist, aber ich bin mir nicht sicher. Erst wenn ich die Fremde länger beobachtet und die Omen gedeutet habe, werde ich dir eine Antwort geben können. Bis dahin bleibt ihr Geist umnebelt und der Stamm in Sicherheit.« Er warf einen Blick in die Gesichter des Ältestenrats. Sie schienen mit seiner Antwort zufrieden zu sein, denn niemand setzte zu einem Kommentar an. Sogar Jekulah schwieg.
»So sei es«, hörte er Delkeths Stimme nach einem Moment sagen. »Die Fremde bleibt hier, bis wir über ihr Schicksal entscheiden können.« Makeje atmete auf und lehnte sich gegen die warme Felswand. Die erste Runde war überstanden und kein Ratsmitglied hatte sich gegen ihn gestellt.
Er hatte befürchtet, es würde schwieriger werden, den Rat zu überzeugen.
»Was ist mit ihrem Begleiter?«, fragte Jekukah. »Ist er immer noch auf der anderen Seite?«
Makeje hob die Schultern.
»Er ist ein Yiet'zu und wird entweder den Tod oder die Erlösung finden. Darüber entscheiden die Götter.«
***
Aruula stellte den fertig geflochtenen Korb ab und griff nach frischen Bastfasern. Ihr Blick ruhte auf dem dunklen Fahrzeug, das durchscheinend und verschwommen aus der Landschaft ragte. Aus einem Grund, der ihr rätselhaft war, musste sie dabei an einen Vogel denken.
Nach einem Moment bemerkte Aruula, dass ihre tastenden Finger auf keinen Widerstand stießen. Sie hatte alle Bastfasern verbraucht. Mühsam löste sie ihren Blick von dem Fahrzeug und sah sich um, aber Schielauge und Breitarsch, die für den Nachschub verantwortlich waren, konnte sie nirgends entdecken. Vermutlich überwachten die Beiden die Arbeiten auf den Feldern.
Aruula stand auf und ging unsicher über die verschobene Landschaft. Niemand beachtete sie, als sie die Leitern zur Gemeinschaftshöhle, dem Zentrum des Stammeslebens hinaufstieg. Um diese Zeit hielt sich niemand hier auf. Alle waren mit Essensvorbereitungen, der Jagd und anderen Arbeiten beschäftigt. Erst am Abend würden sie sich in der Höhle versammeln. Aruula blieb an dem breiten Eingang stehen und wartete, bis sich ihre Augen so weit an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, dass sie die rituellen Zeichnungen an den Wänden erkennen konnte. Erst dann ging sie an den erkalteten Feuerstellen vorbei tiefer in die Höhle hinein. Im hinteren Bereich entdeckte sie einige Fackeln, die einen in Stein gehauenen Gang erleuchteten. Aruula wusste, dass sich an seinem Ende die Lagerkammern befanden, kühl und in sicherer Entfernung von den Coyoten, die sich nachts häufig bis an das Dorf heran wagten.
Mit einer Hand nahm Aruula eine Fackel aus ihrer Halterung und betrat den Gang. Hier verzierten nur noch wenige Zeichnungen die Wände. Jede einzelne war den Tiergeistern gewidmet, die man um Vergebung für die Jagd bat und denen man gleichzeitig für das Fleisch dankte. Makeje hatte Aruula erklärt, dass sich unter dem Fell, den Federn und den Schuppen der Tiere Menschen verbargen, von denen einige sogar ihre tierische Haut ablegen konnten, wenn ihnen danach war. Aruula verstand nicht, weshalb die Männer trotzdem auf die Jagd gingen, aber der Gedanke erschien ihr unbedeutend und so behielt sie ihn für sich.
Vor ihr zweigte ein Nebengang ab. Aruula leuchtete kurz hinein, unsicher, ob sich an seinem Ende die richtige Lagerkammer befand.
Sie entdeckte einige Krüge, die an den Wänden standen, mehr jedoch nicht.
Gerade wollte sie die Fackel herum- schwenken, als sich etwas vor die Krüge schob. Es war eine Gestalt, die mit dem Rücken zu Aruula stand. Die Wände der Lagerkammer schimmerten durch ihren Körper, so als wäre sie nicht wirklich dort.
Ein Geist, dachte Aruula und spürte ihren schneller werdenden Herzschlag. Sie wagte keine Bewegung, blieb ruhig stehen und hoffte, dass die Symbole auf ihrer Haut sie vor einem Angriff schützten.
Der Geist drehte sich um. Er war blond, trug grünliche, vom Wüstenstaub bedeckte Kleidung und stützte sich auf Krücken, die er unter die Schultern geklemmt hatte. Langsam humpelte er auf Aruula zu.
»Ich kenne
Weitere Kostenlose Bücher