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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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kaum aufgefallen, doch jetzt fühlte sie sich, als habe jemand einen Schleier von ihrem Geist genommen. Alles war viel klarer, so wie bei einem Menschen, der nach einem langen Fieber erwacht.
    Sie drehte sich um zu Maddrax, aber der war hinter einer Biegung verschwunden. Unter ihr öffnete Makeje die Augen.
    Aruula drückte die Scherbe so stark gegen seine Kehle, dass ein dünner Blutfaden über seinen Hals lief. Er stöhnte leise.
    »Was habt ihr mit Maddrax gemacht? Wieso kann er mich nicht sehen?«
    Makeje blinzelte sichtlich verwirrt. »Du siehst ihn noch? Aber du hast das Sipapu durchschritten… Du bist keine…«
    Er unterbrach sich. »Denke nicht mehr an ihn. Er ist ein Yiet'zu, du aber bist ein Mensch, das weiß ich, auch wenn die anderen nur die Farbe deiner Haut sehen. Deshalb habe ich dich zu uns gebracht, um dich vor der Prüfung zu bewahren.«
    »Was für eine Prüfung?«, fragte Aruula misstrauisch. Bei ihren Reisen war sie schon öfter Gemeinschaften begegnet, die Fremden Prüfungen abverlangten. Leider hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die meisten tödlich endeten.
    »Darüber entscheiden die Geister«, sagte Makeje. »Aruula, ich werde dir alles erklären, aber nicht hier an diesem Ort. Bitte lass mich los.«
    »Nicht solange Maddrax hier gefangen ist. Ich…«
    Stimmengewirr unterbrach sie. Aruula unterschied Schielauge und zwei andere Frauen, deren Stimmen sie nicht erkannte. Sie kamen näher, waren vermutlich auf dem Weg, um Nahrung in die Lagerkammern zu schaffen.
    »Aruula.« Makeje klang eindringlich. »Bitte lass mich los. Der Stamm glaubt, dass du unter meinem Bann stehst und meinen Befehlen gehorchst. Wenn sie sehen, dass der Bann gebrochen ist, werden sie dich töten. Du musst sie täuschen, sonst ist alles aus.«
    Sie sah ihn an, bemerkte die Verzweiflung in seinem Blick und eine Angst, die nicht ihm selbst galt, sondern nur ihr.
    Er hat sich in mich verliebt, dachte Aruula überrascht. Deshalb hat er mich hierher geholt.
    Sie ließ die Scherbe sinken und stand auf.
    »Also gut, was soll ich tun?«
    Makeje wischte sich Blut und Mehl aus dem Gesicht. »Geh diesen Gang bis zum Ende. Dort findest du eine Leiter, die dich zum Gebetsplatz bringt. Ich werde behaupten, ich sei mit dem Krug gestürzt. Sobald ich aufgeräumt habe, komme ich nach.«
    Aruula sah den Schein einer Fackel und lange Schatten die um eine Ecke bogen. Schielauge und die anderen hatten sie fast erreicht.
    »Einverstanden«, sagte sie knapp, bevor sie sich umdrehte und in den Gang einbog, den Makeje ihr gezeigt hatte.
    Hoffentlich tue ich das Richtige, dachte Aruula.
    Delketh schritt über die Dächer des Dorfs und blieb vor einer ungewöhnlich breiten Luke stehen.
    »Ist es erlaubt einzutreten?«, rief er nach unten in die Lehmhütte.
    »Komm herein«, kam die Antwort zurück. Delketh stieg die Leiter herab in das Halbdunkel der Hütte. Seine Gelenke knirschten unangenehm und machten ihm sein Alter bewusst.
    »Setz dich bitte und nimm dir etwas Kaktussaft«, sagte eine zittrige Stimme, als er den Boden erreicht hatte.
    Delketh nickte Ketkume zu, einem alten Mann, dessen zwei verbliebene Zähne wie die Hauer eines Ebers über seine eingefallene Oberlippe ragten. Mit zweiundsiebzig Sommern war er Jekulahs ältester Sohn, hatte es jedoch nie geschafft, aus dem Schatten seines willensstarken Vaters herauszutreten. Er hatte sich keine Frau genommen, keine Söhne gezeugt und jetzt, wo er schwach und zahnlos war, musste er seine Nichten anbetteln, ihm das Essen vorzukauen, damit er nicht verhungerte. Ketkume musste die Schmach bewusst sein, aber er ließ sich nichts anmerken. Delketh bedauerte ihn.
    Er sah zu Jekulah, der reglos auf seinem Lager neben der kalten Feuerstelle lag und zu schlafen schien. An der Wand lehnte ein Brett, von dem einige Riemen herabhingen. Früher hatte Ketkume seinen Vater auf diesem Brett getragen, heute erledigten das Jekulahs Enkel, die Zwillinge Tlehoke und Chopaje.
    »Wenn dein Väter schläft«, sagte Delketh, »werde ich später wiederkommen. Es hat keine Eile.«
    »Ich schlafe nicht«, antwortete Jekulah, bevor sein Sohn etwas sagen konnte. »Ich warte darauf, dass Tlehoke und Chopaje von der Jagd zurückkehren und mir von ihren Erfolgen erzählen. Sie sind gute Jäger.«
    Delketh nickte. »Ich kenne keine besseren. Sie sind stark und schnell wie einst ihr Vater.«
    Er erinnerte sich noch gut daran, wie Jekulah, festgeschnallt auf sein Brett mit Ketkume neben sich die Zwillinge vom

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