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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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gekämpft hatte.
    ***
    Makeje überwand die letzten Sprossen der Leiter mit einem Sprung und sah sich auf dem großen Platz vor dem Dorf um. Nach der Versammlung im Kivas hatte er ein wenig geschlafen, aber jetzt war es nicht nur der Hunger, der ihn aus seiner Kammer nach draußen trieb.
    Er vermisste Aruula.
    Der Gedanke hatte etwas Beängstigendes. Wie konnte er eine Frau vermissen, die er erst seit wenigen Tagen kannte und die er bis vor kurzem nur durch das Sipapu beobachtet hatte?
    Außer seinem Vater, der an einem besonders heißen Tag vor fünf Monden einfach eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht war, hatte er nie einen Menschen vermisst. Er dachte weder an seine Freunde, die oft wochenlang auf die Jagd gingen, noch an Eri, Delkeths Tochter, mit der ihn ein Eheversprechen verband. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um die weiße Frau, als würden sie wie Bienen von einer Blüte angezogen.
    »Worüber habt ihr im Kivas gesprochen?«, fragte eine helle Stimme.
    Makeje neigte den Kopf und sah Eri an, die lautlos neben ihn getreten war. Sie hielt einen Krug voll Maismehl in den Händen
    »Was im Kivas besprochen wird«, sagte er, »geht nur die Männer etwas an, das solltest du wissen.«
    Eri lachte. »Vater wird sich beim Essen Rat von Mutter holen und ich werde beiden zuhören. Du siehst also, ich erfahre ohnehin, worum es geht.« Sie setzte den Krug ab und verschränkte die Arme vor der Brust. »Also kannst du es mir auch sagen.«
    Obwohl Makeje das nicht wollte, ertappte er sich dabei, wie er Eri und Aruula in Gedanken verglich.
    Beide Frauen waren schlank und dunkelhaarig, aber während Eri verspielt und sich ihrer Schönheit bewusst war, strahlte Aruula eine Wildheit aus, die ihn faszinierte. Es tat ihm Leid, das unterdrücken zu müssen.
    Er stemmte den Krug auf seine Schulter, ohne auf Eris Aufforderung einzugehen. »Ich bringe das für dich in die Lagerkammer«, sagte er stattdessen.
    »Ihr habt über das Yiet'zu gesprochen, das du in unsere Mitte gebracht hast.«
    Makeje kletterte ruhig weiter. Er spürte Eris Blick in seinem Rücken.
    »Vater will, dass du es zurückschickst in die vierte Welt!«, rief sie so laut, dass jeder auf dem Platz sie verstehen musste. »Dort soll es sterben, wie all die anderen Weißen.« Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Makeje stellte den Krug auf dem Dach einer Hütte ab und drehte sich um.
    »Verdammst du den Adler wegen der Farbe seiner Federn?«, fragte er mit mühsam unter- drückter Wut. »Oder den Fisch wegen der Größe seiner Flossen? Wie kannst du es also wagen, die Fremde wegen der Farbe ihrer Haut verstoßen zu wollen? Glaubst du vielleicht, nicht nur den Willen deines Vaters, sondern auch den der Götter zu kennen?«
    Eri wich ein paar Schritte mit gesenktem Kopf zurück. Makeje konnte nicht erkennen, ob sie wütend oder beschämt war. Er nahm den Krug wieder auf und ging ohne ein weiteres Wort in die Gemeinschaftshöhle .
    Habe ich mich verraten?, dachte er, während er eine Fackel nahm und den Gang zu den Lagerkammern betrat. Ahnt Eri, dass ich für die Fremde mehr empfinde als für sie?
    Wenn ja, dann befand er sich in einer gefährlichen Position, denn obwohl Delketh ein guter und weiser Häuptling war, ließ er sich in manchen Dingen von seiner Familie beeinflussen und hörte eher auf sie als auf den Rat eines Schamanen. Davor hatte Makejes Vater ihn noch vor seinem Tod gewarnt.
    Ein Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Er erkannte die Stimme sofort.
    »Aruula!«
    Makeje lief los, den Mehlkrug immer noch auf der Schulter. Eine Reihe von Schreckensbildern schoss ihm durch den Kopf: Aruula mit dem Speer eines Kriegers im Rücken; Aruula verkrümmt und zerschmettert am Boden einer Höhle, eine umgestürzte Leiter neben ihr; Aruula…
    Der Schlag traf ihn mitten ins Gesicht. Makeje taumelte, ging in einer Wolke aus weißem Mehl zu Boden. Er hörte nicht, wie der Krug zerbrach, spürte nur plötzlich eine Scherbe scharf und spitz an seiner Kehle.
    Er schloss die Augen.
    Aruula griff nach einer Scherbe des zerbrochenen Krugs und hielt sie dem Mann unter sich an die Kehle. Die Masse aus Mehl und Blut, die sein Gesicht bedeckte, machte es ihr schwer, ihn zu erkennen, aber sie glaubte Makeje vor sich zu haben. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Brust bewegte sich hektisch auf und ab.
    Aruula selbst fiel es schwer zu atmen. Die Luft schmeckte unangenehm und schien so dünn wie auf einem hohen Berg zu sein. Bevor sie Maddrax gesehen hatte, war ihr das

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