0451 - Drei Gräber bis Soho
Tang wollte nicht, dass der Dämon noch einen Mann tötete.
Shao als Opfer und wahrscheinlich auch Suko mussten reichen. Eine sehr geringe Chance bestand insofern, als dass er seine drei Kämpfer losgeschickt hatte.
Sie waren gewissermaßen - als Neffen getarnt - seine Einsatzreserve gewesen. Chu Tang hatte gewusst, dass es einmal soweit kommen würde, und er hatte die Männer, die mehrere Leben führten, stets bei sich verborgen gehalten.
Ob sie als Sieger aus dem Kampf zurückkehren würden, war für ihn mehr als fraglich.
Noch immer stand er auf dem Dach, hing seinen Gedanken nach, ließ sich den Wind ins Gesicht wehen und lauschte dem Brodeln aus der Tiefe der Straßenschluchten.
Die Geräuschkulisse in Soho würde erst dann abreißen, wenn die frühen Morgenstunden begannen.
Chu Tang war ein mächtiger Mann innerhalb seiner Völkergruppe. In diesen Minuten aber fühlte er eine schreckliche Einsamkeit, da war er völlig allein.
Minuten später, nachdem John Sinclair das Dach verlassen hatte, ging auch er. Seine Schritte setzte er vorsichtig und gab acht, dass er keine Stufe verfehlte.
Im Treppenhaus konnte er besser laufen. Nur seine Schritte waren zu hören, ansonsten war es still.
Die Bewohner schliefen. Sie alle waren Chu Tang sehr zugetan und erkannten ihn als heimlichen Herrscher des Hauses an, ohne jedoch von seinen großen Problemen zu wissen.
Er betrat das leere Arbeitszimmer. Als er es verlassen hatte, war er ein anderer gewesen. Voller Hoffnung noch und Energie. Diesmal kam er sich vor wie ein Greis, und er schritt auch so gebeugt durch den Raum bis zu seinem Schreibtisch, hinter dem er sich niederließ.
Ob sein Plan geklappt hatte, würde er auf seine bestimmte Art und Weise erfahren. Vom Schreibtisch aus konnte er per Knopfdruck einen kleinen Teil der Wand bewegen, die auch mit Ebenholz getäfelt war. Er drückte den Knopf, hörte das leise Summen, dann schob sich ein Rechteck zur Seite, und Chu Tang konnte auf das schauen, was die Wand freigegeben hatte. Drei Bilder.
Die drei Gesichter der Männer, die der alte Chinese als seine Neffen bezeichnet hatte.
Sie schauten ihn ernst an. Durch die indirekte Beleuchtung sah er jede Gesichtsfalte. Die Bilder stammten von einem hervorragenden Maler. Sie wirkten so, als würden sich die Gesichter im nächsten Augenblick zu einem Lächeln verziehen, um den Betrachter willkommen zu heißen.
Chu Tang drehte seinen bequemen Schreibtischsessel so, dass er gegen die Wand und auf die Gesichter schauen konnte. Wenn es einen Erfolg gab, würde sich der auf den Gesichtern abzeichnen, bei einem Misserfolg ebenso. Daran wagte er jedoch nicht zu denken.
Und so wartete er.
Es verging Zeit. Manchmal schaute Chu Tang auf seine Uhr und rechnete sich aus, dass die drei verwandelten Neffen jetzt das Ziel erreicht haben mussten, wo Susanoo auf sie wartete.
Er würde kommen, er wollte seine Macht ausweiten, und Chu Tang rechnete auch mit seinem Besuch.
Die Stille und die Einsamkeit gefielen ihm. Niemand würde ihn stören. So blieb er mit seinen Gedanken und seinem Wissen allein.
Plötzlich schrak er zusammen.
Die Bilder »meldeten« sich.
Sie hingen so neben- und übereinander, dass sie ein Dreieck bildeten.
Das untere der drei Gesichter zeigte plötzlich einen Schatten, und einen Moment später verzogen sich die Wangen, als wären unsichtbare Hände dabei, sie einzudrücken.
Chu Tang befürchtete das Schlimmste. Seine schmalen Hände mit den langen Fingern hatten sich zu Fäusten geballt. Er selbst spürte den Druck am gesamten Körper und hatte gleichzeitig das Gefühl, in kaltes Wasser gesteckt worden zu sein.
Das erste Gesicht fiel aus dem Rahmen!
Und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Die einzelnen Teile lösten sich auf. Mund, Nase und Ohren schmolzen dahin. Sie wurden zu einer klebrigen Masse. Lautlos rann der Überrest an der Wand hinab.
Chu Tang schlug die Hände vor sein Gesicht. Er war sich sicher, dass auch die beiden anderen Neffen nichts ausrichten konnten, und dies wurde ihm abermals auf schaurige und grausame Art und Weise bestätigt, denn er sah bei ihnen den gleichen Vorgang wie beim ersten Bild.
Sie alle wurden zerstört.
Von einer fremden Magie grausam und gnadenlos vernichtet!
Bisher hatte sich der alte Chu Tang unter Kontrolle gehabt, doch im Leben eines jeden Menschen gibt es Augenblicke, wo die Beherrschung nicht mehr reicht und die Gefühle überhand nehmen.
Das erlebte Chu Tang!
Er merkte, wie seine Wangen anfingen zu zucken.
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