0455 - Der Zeit-Zauberer
dem Zimmer, rannte über den Gang und die Treppen hinunter. Drei, vier Stufen übersprang er gleichzeitig, jagte durch die Halle, stieß die Glastür auf, ohne daran zu denken, daß sie vielleicht zerbrechen könnte. Er rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben zur Umfassungsmauer, immer noch von dem grünen Leuchten eingehüllt mit dem das Amulett ihn vor dem Schatten des Dämons schützte.
Die Bannzeichen an der Mauer! Das erste war unversehrt, das zweite, das dritte… und dann: dort fehlte eines!
Zamorra hatte recht. Der Gnom mußte den Schirm geöffnet haben, um selbst zaubern zu können. Zamorra hieb mit dem Amulett gegen den Stein, wo an sich das magische Zeichen mit Kreide angemalt werden mußte. Kreide hatte er nicht, aber er zeichnete mit dem Amulett eine magische Spur hinein. Sie würde rasch wieder verblassen, aber solange das Zeichen Bestand hatte, baute sich auch das Schutzfeld wieder auf.
Hoffentlich hatte der Gnom nur ein einzelnes Sigill zerstört und nicht mehrere an verschiedenen Stellen! Zamorra keuchte auf. Er sah, wie der Drache mit seinen Schatten eins geworden war! Der Gnom schwebte direkt vor seinem Rachen. Der Drache wollte seinem Opfer nun die Seele aus dem Leib fressen.
Da baute sich das weißmagische Schirmfeld auf.
Der Drache brüllte. Er wurde von Blitzen umtobt, die ihn versengten. Der Gnom entfiel seiner Klaue und stürzte. Ein langanhaltender Schrei mischte sich in das Brüllen des dämonischen Ungeheuers, das Flammenbahnen nach allen Seiten schleuderte. Bestialischer Gestank breitete sich aus. Sekundenlang sah Zamorra noch ein glühendes Skelett, dann löste das Monstrum sich in einem erlöschenden Funkenregen auf.
Der Bann war gebrochen.
Der Dämon Rologh existierte nicht mehr. Er hatte den Fehler begangen, sein Opfer zu lange quälen zu wollen.
Sein Opfer! Zamorras Schultern sanken herab. Der Gnom war abgestürzt. Zamorra hatte ihn nicht retten können. Wie auch? Dazu hätte er den Dhyarra-Kristall gebraucht.
Und den hatte Nicole.
Zamorra atmete tief durch. Irgendwie hatte er den Gnom gemocht. Er hatte seinen Tod nicht gewollt.
Mit schleppenden Schritten ging er auf das Hauptgebäude zu.
Und dann glaubte er seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Er hörte jemanden, der vor lauter Schreien und Kreischen schon heiser war, verzweifelt um Hilfe rufen. Zamorra hob den Kopf. Da hing der Gnom am Dach an einer Regenrinne!
Noch einmal war Zamorra schnell, als er ins Haus stürmte, die Treppen hinauf und in das Zimmer, über dessen Fenster der Gnom hing.
Er schaffte es, den Schwarzen hereinzuziehen.
Japsend krümmte der Kleine sich am Boden zusammen. Er konnte nur noch krächzen, so hatte er geschrien. Aber Zamorra hatte schon eine Vorstellung, womit er dem Kleinen die Stimmbänder wieder ölen konnte. Mit heißer Honigmilch.
***
Später machten sie Bestandsaufnahme. Rologh war gerade noch rechtzeitig getötet worden, ehe er mit seiner düsteren Aura die Menschen im Château endgültig auslöschen konnte. Sie erwachten wieder aus ihrer Bewußtlosigkeit, ohne tiefere Schäden davongetragen zu haben. Auch Don Cristofero war gerade noch davongekommen. Er glaubte, einen bösen Alptraum erlebt zu haben, und beschloß, nie wieder zu trinken - höchstens in guter Gesellschaft, und dann auch nur noch ein Gläschen oder drei oder zehn, aber nicht mehr.
Als der Gnom später versuchte, ihn und sich in die Vergangenheit zurückzubringen, erlebte er eine herbe Enttäuschung. Es funktionierte nicht. Die Magie, die Rologh ihm einst gewährt hatte, schwand dahin. Der Gnom würde das Zaubern ganz neu erlernen müssen. »Ihr müßt mir dabei helfen, Don Zamorra«, bat er den Schloßherrn.
Zamorra sagte es ihm zu. Er war nicht einmal unfroh darüber, dieses seltsame Gespann noch etwas länger im Château zu haben. Einmal bekam er Gelegenheit, sich noch etwas ausführlicher mit Don Cristofero zu unterhalten, zum anderen konnte er auch dem Gnom noch ein paar weißmagische Tricks beibringen, die diesem helfen würden, sich besser über Wasser zu halten als früher mit der Macht des Dämons.
Währenddessen war Nicole endlich nach Rom gewechselt. Als sie am nächsten Morgen zurückkehrte, wirkte sie bedrückt.
»Was ist mit Ted?« wollte Zamorra wissen, der mittlerweile das vom Gnom gelöschte weißmagische Sigill wieder erneuert und dem Schutzschirm damit neue Festigkeit gegeben hatte.
»Carlotta hat ihn bewußtlos gefunden. Als ich kam, hatte sie endlich den Notarzt alarmiert. Ted
Weitere Kostenlose Bücher