0465 - Heute Engel - morgen Hexe
ich von ihren Pupillen nichts erkennen. Deshalb beugte ich mich noch weiter vor, fasste ein Lid sehr vorsichtig an und zog es zurück.
Ich erschrak, als ich die weißen Augäpfel sah. Dafür hatte ich keine Erklärung. »Sehen Sie sich das mal an, Rick!«
Er kam und beugte sich auch über das Bett. »Was ist denn mit den Augen?« hauchte er.
»Das frage ich mich auch. Haben Sie keine Erklärung für das Phänomen?«
»Nein.«
Ich runzelte die Stirn. Es war wirklich müßig, nach Erklärungen zu forschen. Wahrscheinlich musste ich den Weg der Magie einschlagen, um dieses Rätsel zu lösen.
Ich trat einen Schritt zurück, drehte mich und blieb neben dem Fenster stehen. Auch der Hausmeister war aus der unmittelbaren Nähe des Betts verschwunden. Er wollte nicht unbedingt in den Dunstkreis der Toten geraten.
»Von nichts kommt nichts«, sagte ich. »Irgendetwas stimmt da nicht. Was war es?«
»Ich kann Ihnen keine Antwort geben.«
»Aber sie lebt hier.«
»Was meinen Sie, Mr. Sinclair, wie viele Menschen hier ein- und ausgehen!«
»Ich wohne selbst in einem solchen Kasten.«
»Dann erzähle ich Ihnen ja nichts Neues.«
»Nur ist unser Hausmeister besser über ›seine‹ Mieter informiert.«
»Da ist eben jeder anders. Ich habe mich nie darum gekümmert.« Er senkte den Blick.
»Aber Rick, machen wir uns nichts vor. Gitty Oldman ist eine hübsche Person. Sie sind jung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich nicht für sie interessiert haben oder ihr mal längere Blicke zuwarfen.«
»Das schon«, gab er zu.
»Na bitte.«
»Aber ich war nie in ihrer Wohnung, wenn Sie verstehen.«
»Klar. Wie stand sie zu Ihnen?«
»Gut, meine ich.«
»Wie gut?«
»Nun ja, Sie hat hin und wieder mit mir ein Wort gewechselt. War nett und höflich…«
»Was war sie von Beruf?«
»Keine Ahnung.«
»Wann ging sie, wann kam sie? Regelmäßig, unregelmäßig?«
»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Brachte Sie Besuch mit?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Ich legte die Stirn in Falten. »Viel ist es nicht, was Sir mir da erzählen.«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. So attraktiv diese junge Frau auch war, mir ist sie immer ein wenig unnahbar vorgekommen. Sie war mehr eine Frau, von der man träumte.«
»Alpträume?«
»Haben Sie denn eine Erklärung für ihren ungewöhnlichen Zustand, Mr. Sinclair?«
»Auch nicht.«
Rick Stockman hob die Schultern. »Und was wollen Sie jetzt unternehmen? Ich meine, es muss ja irgendwie weitergehen. Wir können sie nicht in der Wohnung lassen.«
»Das stimmt, ich werde meine Kollegen anrufen, damit Gitty Oldman abgeholt wird.«
»Was geschieht dann mit ihr?«
»Wir müssen Sie untersuchen. Aber das ist nicht Ihr Problem. Stand das Telefon nicht im Wohnraum?«
»Ja, ich glaube.«
»Okay.« Ich verließ das Schlafzimmer, Rick blieb noch da. In der Zwischenzeit war ich nachdenklich geworden. Noch immer wusste ich nicht genau, ob diese Gitty Oldman tot war oder ob noch ein gewisses Leben in ihr steckte.
Bis zum Wohnraum kam ich nicht, weil mich ein Geräusch störte, das aus dem Schlafzimmer drang.
Da redete jemand.
Leider sehr leise, so dass ich nichts verstand. Aber es war nicht der Hausmeister, dessen Stimme bis in die Diele drang. So sprach eigentlich nur eine Frau.
Vielleicht Gitty Oldman?
Ich lief zurück bis zur Tür und blieb dort im toten Winkel stehen, um zu lauschen.
In der Tat, da redete eine Frau! Die Worte, die sie sagte, verwunderten und erschreckten mich gleichzeitig.
»Küss mich, schöner Mann. Du mußt mich küssen. Du bist der Prinz, dich habe ich ausgesucht. Küss mich…«
Das konnte es nicht geben. Ich dachte an Stockman. Der würde vielleicht durchdrehen, wenn er so etwas hörte.
Mit einem langen Schritt stand ich vor der offenen Tür und blickte in das Zimmer. Meine Befürchtung wurde wahr.
Rick Stockman stand neben dem Bett. Er hatte sich über Gitty Oldman gebeugt und küsste sie leidenschaftlich.
***
Es war ein Bild, das mich schockte. Der Hausmeister hatte alles um sich herum vergessen. Er wirkte wie ein Mensch, der lange auf etwas gewartet hatte und endlich ans Ziel gelangt war.
Lautlos betrat ich den Raum. Mein Gesicht war hart geworden. Ich roch wieder das Blut und schüttelte mich. Das war eigentlich kein normaler Blutgeruch, dieser Gestank gefiel mir überhaupt nicht. Er setzte sich aus verschiedenen Zutaten zusammen, vielleicht gaben auch Kräuter einen bestimmten Duft ab, jedenfalls irritierte er mich stark.
Etwas
Weitere Kostenlose Bücher