047 - Amoklauf
Singapur hatte man offensichtlich etwas gegen langhaarige Jünglinge.
Fünfundzwanzig Minuten später bestieg ich die Fokker Friendship-Maschine der MSA, und weitere zehn Minuten später hoben wir ab. Die Maschine war bis auf den letzten Platz besetzt. Neben mir saß eine hübsche Japanerin, die mich wie das achte Weltwunder anstarrte, als ich mich mit ihr auf japanisch unterhielt. Schon in der Schule hatte ich meine Lehrer mit meiner Fähigkeit, fremde Sprachen in wenigen Wochen zu erlernen, völlig verblüfft.
Wir waren beide traurig, daß sie in Kuching, Sarawak, ausstieg. Nach einer Stunde hatte dann auch ich mein Ziel erreicht: Brunei City.
Die Zollabfertigung war in wenigen Minuten erledigt. Ich bekam mein Gepäck ausgehändigt und nahm mir ein Taxi. Ein braunhäutiger, ewig grinsender Bursche fuhr mich in die Stadt. Als er merkte, daß ich seine Sprache verstand, schnatterte er ohne Ende, jedoch so rasch, daß ich bloß Bruchstücke seines Wortschwalls verstehen konnte.
Die Fahrt dauerte nur ein paar Minuten. Vor uns tauchte bald die Omar-Ali-Saifuddin-Moschee auf, dann kamen wir an einigen zweistöckigen Verwaltungsgebäuden vorbei, überquerten Bazarstraßen, in denen billige Waren aller Art angeboten wurden und erreichten schließlich das Puspa Hotel, wo der O. I. für mich ein Zimmer bestellt hatte. Das Hotel war modern und durchaus akzeptabel. Mein Gepäck wurde aufs Zimmer gebracht. Ich betrat die Bar, setzte mich an die Theke und bestellte ein Bier. Sekunden später wurde es mit einem Lächeln vor mich hingestellt. Ich trank einen Schluck. Es schmeckte nicht übel. Flüchtig sah ich mich in der Bar um. Nur wenige Leute waren anwesend, was mich nicht überraschte. Brunei ist ein streng islamisches Land, und ein ordentlicher Moslem trinkt sein Bier nicht in einer Bar, sondern zu Hause. Aus den Aufzeichnungen des O. I. hatte ich erfahren, daß es bisweilen schwierig sein sollte, in Brunei überhaupt alkoholische Getränke zu bekommen, dennoch behaupteten boshafte Zungen, der zweitwichtigste Export Bruneis seien nach dem Erdöl leere Bierflaschen, die nach Singapur zurückverschifft würden.
»Bekomme ich bei Ihnen etwas zu essen?« fragte ich das malaysische Barmädchen.
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, Sir«, zwitscherte sie in schlechtem Englisch. »Sie müssen ins Restaurant gehen.«
Ich zahlte das Bier und steuerte aufs Restaurant zu. Ein chinesischer Kellner führte mich zu einem Tisch, verbeugte sich und reichte mir eine Speisekarte.
»Apa yang ada untok di-makan?« fragte ich ihn, und er starrte mich überrascht an. Ich hatte ihn gefragt, was es besonders Gutes zum Essen gäbe, und sofort ratterte er wie ein Maschinengewehr los. Ich entschied mich für Haifischsuppe, Satay und Gula Melaka. Ich hatte kaum einige Bissen getan, als ein Kellner an meinen Tisch trat, sich tief verbeugte und mich fragte, ob ich Gary Stack sei. Ich nickte.
»Ein Herr will Sie sprechen, Sir«, sagte er.
Ich kniff die Augen zusammen. »Nannte er seinen Namen?«
Der Kellner nickte.
»Anthony Richardson«, sagte er.
»Schicken Sie ihn zu mir!«
Soweit ich unterrichtet war, handelte es sich bei Anthony Richardson um den einzigen Sohn Harry Richardsons, des Mannes, der Amok gelaufen war. Ich aß ruhig weiter, war aber doch einigermaßen überrascht, daß Richardson mich sprechen wollte. Es war vereinbart worden, daß ich morgen zu seiner Mutter fahren sollte.
Kurze Zeit später tauchte der kleine Kellner wieder auf. Hinter ihm ging ein etwa fünfundzwanzig Jahre alter Mann, der mir auf Anhieb unsympathisch war. Er war hochgewachsen, schmalschultrig und sein Gesicht hager. Sein strohblondes Haar war extrem kurz geschnitten, und seine grünen Augen musterten mich gleichgültig. Er trug einen weißen Leinenanzug, der unter den Achseln völlig verschwitzt war.
»Mr. Stack?« fragte er mit rostiger Stimme und blieb vor mir stehen.
Ich schob den Stuhl zurück, stand auf und drückte seine Hand, die sich wie ein glitschiger Fisch anfühlte. »Ja«, sagte ich. »Sie sind Anthony Richardson?«
Er nickte. »Essen Sie ruhig weiter«, meinte er und zog sich einen Stuhl heran.
Ich machte mich wieder über mein Essen her, trank einen Schluck Bier und beachtete ihn nicht.
»Wie lange bleiben Sie in Brunei?« fragte er mich nach einer Weile.
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ein paar Wochen vielleicht.«
Ich hoffte, daß es nur wenige Tage sein würden, aber man konnte nie wissen, wie sich ein Fall,
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