0471 - Im Bann der Hexe
Augenblick verlor Don Cristofero das Gleichgewicht. Erschrocken hielt er sich an der Tischkante fest. Die Umrisse seiner Umgebung verschwammen ihm vor den Augen. Als er sich darauf konzentrierte, stabilisierten sie sich wieder.
War es die Wirkung des Genevers, von dem er nicht gerade wenig getrunken hatte - oder war es das Gift?
Er sah sich nach Susanna van Loowensteen um. Die Geusenmaid hatte die Augen wieder geschlossen. Es gab Don Cristofero einen schmerzenden Stich. Doch er konnte das Sterben des Mädchens nicht verhindern. Und sein eigenes wohl auch nicht. Nein, das hätte er sich nie träumen lassen, daß er eines Tages um mehr als 300 Jahre in die Zukunft verschlagen werden würde, um dort zu sterben…
Er dachte an die blaßhäutige Hexe Lucia, die sich so feindselig benommen hatte. Er wünschte sich Professor Zamorra her. Der mit seinen magischen Waffen hätte die Hexe in ihre Schranken verweisen können. Mit diesem Amulett, das er meistens um den Hals trug, konnte er ganze Heerscharen höllischer Geister in die Flucht schlagen. Er hätte es dieser Lucia gezeigt! Hätte ihr gebührenden Respekt vor dem Adelsgeschlecht der Montegos beigebracht. Zamorra war unschlagbar. Langsam begann sich Don Cristofero daran zu gewöhnen, daß sein französischer Besitz Château Montagne künftig diesem Akademiker gehörte. Der war durchaus der richtige Mann dafür, ein Mann nach Don Cristoferos Geschmack. Wenn er sich nur nicht so furchtbar bürgerlich und jenseits aller Konventionen geben würde…
Und wenn er Cristofero nicht ausgerechnet nach England abgeschoben hätte! Zum Erzgegner! Aber dies war wohl eine andere Zeit, in welcher sich auch die politischen Konstellationen merklich verschoben hatten.
Wie auch immer - Zamorra war weit fort und konnte Don Cristofero daher nicht helfen. Dem blieb nur noch die vage Hoffnung, daß der Gnom vielleicht trotz seiner Schwächen etwas zustandegebracht haben könnte.
Don Cristofero ging zur Verbindungstür. Einmal mußte er stehenbleiben und um sein Gleichgewicht kämpfen. Nachdem er einige Zeit überhaupt nichts gespürt hatte, verschlechterte sich sein Zustand jetzt rapide.
Er fing sich wieder und erreichte die Tür. Ohne anzuklopfen betrat er das andere Zimmer. Der verwachsene Gnom stand mit dem Rücken zur Tür und hängenden Schultern da und starrte auf ein Glas voller Honig und den schokoladenverschmierten Teppich.
»Fast scheint's vonnöten, darob den Verstand zu verlieren!« polterte der Grande los. »Elendes Naschwerk zaubert Er sich zurecht, statt nach einem Gegengift zu suchen? Der Blitz mag ihn beim…«
Der Gnom kroch förmlich in sich zusammen. »Herr, urteilt nicht vorschnell!« unterbrach er. »Es ist nicht so, wie es Euch erscheint. Da war eine andere, störende Kraft. Ich kann nichts dafür.«
Cristofero starrte ihn düster an.
Er wußte, daß der Gnom um Ausreden nie verlegen war. Aber andererseits… hier ging es um Leben und Tod, nicht um Nebensächlichkeiten wie die Rückkehr in die eigene Zeit oder das Transmutieren gemeiner Stoffe zu edlem Gold.
»Die gleiche Kraft, die schon Sein voriges Experiment scheitern ließ?« hakte der Grande nach.
Der Gnom nickte eifrig. »Es hat mich übel durchgeschüttelt, Herr«, versicherte er. »Ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand. Aber ich konnte nichts ausrichten, und zuletzt kam dieses hier heraus - doch völlig ohne meinen Willen.«
Er klang müde und erschöpft. Soviel bekam Don Cristofero immerhin noch mit. Er glaubte dem Gnom. Der Schwarze hatte es nicht nötig, zu lügen. Die kleinen gegenseitigen Tricks waren eine andere Sache.
Noch eines wurde dem Grande klar. Der Gnom besaß nicht mehr die Kraft, einen weiteren Versuch zu unternehmen - weder, um das magische Gift vielleicht doch noch zu isolieren und ein Gegenmittel zu finden, noch um einen Weg zurück in die eigene Welt und die eigene Zeit zu finden. Bis er sich von seiner jetzigen Anstrengung wieder erholt hatte, war zumindest Don Cristofero - und desgleichen die Geusenmaid - tot. Möglicherweise auch der Gnom, falls er sich mittlerweile ebenfalls mit dem Gift infiziert hatte. In diesem Fall würde der familiaris selbst im Tode noch triumphieren.
Wie durch Watte drangen die Worte des Schwarzen an Don Cristoferos Ohr: »… bedarf möglicherweise des gleichzeitigen Zusammenspiels von meinem Zauber mit dem jener Herrin der Dunkelheit, um ein solches Tor durch Raum und Zeit noch einmal zu schaffen, durch das wir hierher gezogen wurden.
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