0480 - Satan mischt die Karten
seinem Hosenbund gesteckt hatte; jetzt begriff Nicole, warum er den Anzug trug. Er hatte die Waffe, die aus dem Arsenal der Ewigen stammte und auf Betäubungsstrahl geschaltet war, verdeckt.
Zamorra hatte also schon im Hotel damit gerechnet, in Schwierigkeiten zu geraten; deshalb also war er scheinbar leichtfertig das Risiko eingegangen.
»Alles bleibt ganz ruhig«, warnte Zamorra. »Keiner rührt sich. Jemand soll einen Notarzt und einen Rettungswagen rufen.«
Er kauerte sich neben den Niedergeschossenen. Dessen Atem ging nur noch flach; eine halbe Minute später war er tot. Aber da befanden sich bereits Hauptkommissar Roland, ein halbes Dutzend uniformierter Polizisten und das Duo Möbius und Ullich in der Etage.
»Wo, zum Teufel, kommt ihr denn her?« wunderte sich Zamorra, der jetzt mit der Schockwaffe niemanden mehr davon abzuhalten brauchte, über ihn herzufallen.
»Herr Möbius rief mich an und informierte mich über Ihren versuchten Alleingang, kaum daß Sie sich verabschiedet hatten«, eröffnete Roland.
Zamorra sah Carsten kopfschüttelnd an. »Verräter«, sagte er.
»Lebensretter«, widersprach Nicole. »Was glaubst du, was die Para-Logen der Scientisten mit uns gemacht hätten, um ihren Boß zu rächen? Gegen einen PSI-Überfall hätten wir uns auch mit deinem Schockstrahler nicht wehren können.«
»Ich weiß«, sagte Zamorra. »Aber warum soll ich einen Freund nicht auch mal Verräter nennen dürfen? Dann hat der einen Grund, mich zu einer Freibierrunde in einer gepflegten Kneipe zu zwingen, um diese Beleidigung wiedergutzumachen, und ich kann’s als Wiedergutmachung für die Beleidigung abschreiben, statt für die Lebensrettung, die mir nur meinen Leichtsinn unter die Nase reiben würde…«
»Noch umständlicher kann man es wohl nicht mehr machen, wie?« fragte Möbius spöttisch. »He, komm, Mann. Die Zeugenaussage wirst du auch auf dem Revier noch machen können. Und hier stehen wir jetzt doch nur noch im Weg herum.«
***
Weil es keine bessere Erklärung gab, wurde die Polizeiakte mit dem Vermerk geschlossen, daß Bert Berger Selbstmord begangen habe. Daß sich an Kleidung und Wundrand keine Schmauchspuren fanden, die bei einem Schuß aus allernächster Nähe hätten entstehen müssen, blieb ein ungelöstes Rätsel in den Papieren. Wer hätte denn schon geglaubt, daß Marina Brests Para-Sektor die für ihren Mann bestimmte Kugel umgelenkt und zum Schützen zurückgeführt hatte? Damit hatte sich auch die zweite Prophezeiung aus ihrem Tarotkartentraum erfüllt: Der Mann im hellen Anzug war von einer Kugel niedergestreckt worden.
Er war nicht Professor Zamorra gewesen; seine Ähnlichkeit in Kleidung und Aussehen war ihm zum Verhängnis geworden.
Marina Brest hatte darüber ihre Para-Fähigkeiten - und ihren Verstand - verloren. Sie wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, die nicht von Parascience unterwandert war -dafür sorgte Professor Zamorra -, aber erst Jahre später gelang es den Seelenärzten, das Schocktrauma zu lösen und einen allmählichen Heilungsprozeß in ihrem Bewußtsein einzuleiten. Peter Brest konnte man, in anderer Hinsicht, als »geheilt« ansehen. Er setzte alles daran, sich von Parascience zu lösen; was aus ihm wurde, erfuhr niemand mehr, da er nur kurze Zeit nach dem Geschehen spurlos verschwand. Unter Anklage gestellt werden konnte niemand; es gab keine konkreten Anhaltspunkte. Alles verlief stillschweigend im Sand, nicht einmal die Presse gelangte an entsprechende Informationen, um sie, das alljährliche Sommerloch ausfüllend, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dennoch konnte Zamorra den Abschluß dieses Abenteuers als Erfolg verbuchen, so tragisch es für einige der Beteiligten auch verlaufen war. Der Hydra Parascience war wieder einmal einer ihrer Köpfe abgeschlagen worden.
Aber - wie viele dieser Köpfe mochte es weltweit noch geben, und wie viele wuchsen sogleich nach?
Die Zukunft würde es zeigen.
ENDE
[1] Siehe Professor Zamorra Nr. 475 »Der Drache der Zeit«, und folgende
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