0491 - Die Wolfshexe
meinst die Story über den Geisterlord? Da ging’s um einen geschnitzten Wolfskopf aus Holz, der zubiß, und um Merlins Zauberwald Broceliande. Und das war auch im bretonischen Inland, nicht oben an der Küste bei Brest, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.« [4]
Jetzt war es wieder Nicole, die aufhorchte. »Bei Brest? Da gibt’s doch momentan diesen Ärger mit giftigen Schiffsfarben und steril werdenden Purpurschnecken.«
Ted vergaß das Spiel. Auch Zamorra spitzte die Ohren. »Erzähl. Was ist uns da entgangen? - Man kann schließlich nicht alles lesen, sehen oder hören.«
»Es gibt eine zinn-organische Verbindung, die TBTO abgekürzt wird«, erklärte Nicole. »Das ist ein Stoff, der Farben zugesetzt wird, mit denen Schiffe im Unterwasserbereich angestrichen werden. Das Teufelszeug soll verhindern, daß sich Algen und Muscheln an den Schiffsrümpfen festsetzen. Das wäre ja an sich eine ganz feine Sache, nur lösen sich geringste Mengen aus dem Schiffsanstrich, eine natürliche Folge der Abnutzung. Bloß reicht schon ein Milliardstel Gramm aus, um bei den an der bretonischen Küste lebenden weiblichen Exemplaren der Purpurnen Strandschnecke Sterilität auszulösen. Nicht nur das -in anderen Fällen sorgt dieses TBTO dafür, daß besagten weiblichen Schnecken plötzlich männliche Geschlechtsorgane wachsen. Damit sind die Tiere zum Aussterben verurteilt -wo es keine Weibchen mehr gibt oder diese steril sind, gibt’s keine Fortpflanzung mehr. Nach einer Verlautbarung des Meeresforschungsinstituts von Brest wird dieses Phänomen an weiten Küstenstreifen der Bretagne beobachtet; außerdem sind auch Austern von dem TBTO betroffen. Es führt zu einer Veränderung der Kalkschale und zum Absterben von Larven, heißt es. Ausgerechnet von diesen ernährt sich aber wiederum die Purpurne Strandschnecke, die mithin gleich zweifach zum Aussterben verurteilt ist.«
Zamorra räusperte sich. »Wenn man das weiß, warum tut man nichts dagegen?«
»Die Chemikalie TBTO ist bereits seit 1982 in Frankreich verboten«, sagte Nicole. »Aber es hält sich niemand an dieses Verbot. Frankreich und Umweltprobleme, das sind zwei gegensätzliche Welten, die aufeinanderprallen. Daß die Deutschen sich um ›le Waldsterben‹ sorgen, wird ja auch nur kopfschüttelnd und spöttisch belächelt. Solange es der französischen Industrie und Wirtschaft gut geht, geht es gefälligst auch dem französischen Bürger gut, und für das Wie sorgen halt Industrie und Wirtschaft, die dem Bürger das Denken abnehmen. Die Politik kommt dagegen kaum an, selbst wenn sie sich bemüht. Ihr seht es an der Loire; der letzte, wenigstens stellenweise noch ›wilde‹ Fluß Europas soll der Geschäftsinteressen einiger Superreicher wegen endgültig industriell und wasserwirtschaftlich genutzt werden. Daß dabei Hunderte von Tierarten aussterben, weil ihre Biotope zerstört werden, interessiert niemanden außer dem World Wildlife Found. Der hat bisher noch das Schlimmste verhindern können. Aber wie lange noch? Wann setzt sich das Geld gegen die Vernunft durch?«
Ted Ewigk verzog das Gesicht. »Schau nicht mich armen kleinen Reporter dabei so drohend an. Ich kenne das Problem und habe mich da längst auf meine Weise engagiert. Okay, jetzt kenne ich den Begriff TBTO und die Geschichte mit der Geschlechtsumwandlung der Strandschnecke. Aber es hilft nicht immer, Reportagen zu machen, wenn die Zeitung oder der Fernsehsender, dem du die Story verkaufst, ausgerechnet dem Geldhai gehört, der hinter den Aktionen steht. Dann wird deine Story einfach nicht gebracht und verstaubt in der Schublade. Und selbst wenn die Redakteure mitspielen, sind da noch die Anzeigengeber, die Werbekunden. Wenn der Bericht ihren Interessen widerspricht, kaufen sie einfach keine Werbezeiten oder Zeitungsseiten, und mangels Finanzierung ist der Bericht dann gestorben, kann einfach nicht gebracht werden. So sieht die andere Seite aus, Nicole.«
Er zuckte in einer hilflosen Bewegung mit den Schultern. »Selbst wenn ich mit meinem international bekannten Namen dahinterstehe, werde ich eine solche Reportage kaum in Frankreich verkaufen können. Auch kaum sonstwo in Europa. Gehe ich in die außereuropäischen Länder, interessieren sich die Zuschauer kaum dafür, weil sie ganz andere Probleme haben.«
»Das heißt, wichtige Dinge wie diese bleiben also einfach in der Schublade?«
»Zumindest bei wirtschaftlich abhängigen Medien. Tut mir leid, daß ich dir keine frohere Botschaft bringen
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