0491 - Die Wolfshexe
konnte. Da waren Erinnerungen. Das Gespräch mit Larchant. Die Warnung vor den Wölfen. Und es war Abend.
Plouder mußte also die ganze Nacht über im Schnee gelegen haben!
Theoretisch müßte ich tot sein. Wieso lebe ich noch?
»Warum bin ich nicht erfroren?«
Mireille zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben Sie nicht lange genug draußen gelegen.«
»Die ganze Nacht!«
»Das kann nicht sein. Dann wären Sie tot.«
»Aber…« Er verstummte. Er hatte daran erinnern wollen, daß er mit ihrem Vater geplaudert hatte, ehe die Welt um ihn herum aufhörte zu existieren. Aber vielleicht würde sie ihn auslachen. Es war ja auch schon erschreckend eigenartig, daß er sich an nichts weiter erinnern konnte. Da waren nur vage Fetzen, die sich immer mehr auflösten.
»Ich möchte mich jetzt anziehen«, sagte er ausweichend.
»Ja, und? Warum tun Sie es nicht?«
Er hüstelte, errötete wieder. »Weil… äh… ach, zum Teufel, weil ich nackt bin, wie Sie ganz genau wissen!«
»Sicher. Und deshalb müssen Sie sich ja auch anziehen, weil Sie nicht nackt durchs Dorf nach Hause laufen wollen.« Sie grinste lausbubenhaft.
»Ja, eben«, knurrte er. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, solange hinauszugehen?«
»Ach du großer Rofocale«, seufzte sie. »Na schön, wenn Sie meinen, daß ich vom Anblick Ihres hüllenlosen Prachtkörpers erblinden würde… ich hätte nichts dagegen, wenn Sie im umgekehrten Falle meine nackte Schönheit bewundern würden. Na gut, ich warte im Wohnzimmer auf Sie.«
Verwirrt sah Yann-Daq Plouder ihr nach. Was für ein unmoralisches, respektloses und unkeusches Geschöpf hatte der »Geheimnisvolle« da bloß in die Welt gesetzt? Einerseits fühlte sich Plouder von dem Mädchen angezogen, andererseits gefiel ihm ihr schamloses Verhalten nicht. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie durch das Schlüsselloch peilte, um ihm beim Ankleiden zuzuschauen!
Er war heilfroh, als er wieder angezogen war. Aber er wäre noch glücklicher gewesen, wenn er sich wieder an das hätte erinnern können, was gestern abend geschehen war. Aber diese Erinnerung wollte einfach nicht kommen…
***
Am Logischsten wäre es gewesen, die rund 1000 Kilometer nach Brest mit dem Flugzeug zurückzulegen. Aber Nicole sprach sich energisch dagegen aus. »Vor Ort müssen wir dann ja doch mit dem Pkw mobil werden, und warum sollen wir umständlich Autos mieten, wenn wir selbst welche besitzen? Außerdem müssen die zwischendurch mal bewegt werden. Bis wir in Lyon im Flieger sitzen und dann auf dem Flugplatz bei Brest Mietwagen-Übergabe machen -wahrscheinlich ist dann gerade Feierabend oder Essenspause -, sind wir auch mit dem eigenen Wagen da. Außerdem leiden unsere Inlandsflüge mittlerweile schon fast ebenso unter dem Verspätungsvirus wie drüben in Deutschland. Nee, Freunde. Ich zumindest setze mich ins Auto.«
»Da oben liegt Schnee«, warf Zamorra ein.
»Lag, cheri. Lag. Es hat eine Verschiebung in der Wetterfront gegeben. Mit etwas Glück erleben wir Anfang Dezember an der bretonischen Kanalküste den heißesten Hochsommer dieses Jahrtausends.«
»Du hast ja ’nen Vogel. Größenklasse Archäopterix«, meinte Ted.
»Die Archäopterix war kein Vogel, sondern eine Mischform aus Vogel und Reptil, du Kulturbanause!« wehrte sich Nicole. »Typisch, diese Reporter. Mit Halbwahrheiten Schlagzeilen machen… Dabei willst du dich mit deinen spitzfindigen Bemerkungen doch nur billig dafür rächen, daß ich gestern ständig gewonnen habe!«
Ted zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen können Zamorra und du ja fahren, aber ich werde wohl trotzdem fliegen müssen. Mein Auto steht in Rom in der Garage.«
»Wieso? Du nimmst Zamorras BMW und bist damit in Brest und an der Küste mobil, und wir gehen mit meinem Cadillac auf Wolfsjagd. Dein Rolls-Royce würde sowieso zu sehr auffallen.«
»Ach! Ein Heckflossen-Cadillac oder ein 740i wohl nicht, wie?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Sagt mal, mich fragt wohl überhaupt keiner bei dieser Reiseplanung, wie?«
»Wozu?« wollte Nicole schulterzuckend wissen. »Ist doch alles geklärt, oder? Laßt uns die Koffer packen. Wenn wir eine Nachtfahrt machen, bei der wir uns gegenseitig am Lenkrad abwechseln, können wir morgen tagsüber aktiv werden.«
»Wir fahren bei Tage«, entschied Zamorra. »Angesichts der Wetterlage halte ich das für sicherer.«
Damit blieb ihnen noch eine ganze Nacht.
Unter anderem zum Pokern mit Nicole…
***
Yann-Daq Plouder kam erst wieder einigermaßen
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