0495 - Teufelsspuk und Killer-Strigen
Jane reagieren? Würde sie anfangen zu schreien, zu weinen oder in eine Starre versinken?
Jetzt bin ich so alt geworden, dachte sie, und habe noch immer Angst wie ein kleines Kind. Sie schüttelte den Kopf, ging in die Küche und trank den Rest Tee aus der Tasse. Der fade Geschmack im Mund verschwand etwas, aber der Druck blieb.
Sie hätte den Aufzug nehmen können, verzichtete aber darauf und schritt die Treppe hoch.
Mit schwerfälligen Schritten ging sie höher, eine Hand auf den Knauf des Geländers gelegt. Sie bemühte sich auch nicht, leise zu sein. Jane sollte ruhig merken, wer da auf dem Weg zu ihr war.
Sarah hatte ihren Besuch angekündigt, Jane würde bestimmt nicht überrascht sein, wenn es an ihre Tür klopfte.
Das Treppenhaus war ziemlich eng, die Stufen dementsprechend schmal, aber Sarah hatte sich daran gewöhnt. Noch eine Etage höher hatte sie den Dachboden ausbauen lassen. Dort befand sich ihr Grusel-Archiv. Bücher, Videofilme, Zeitschriften, eigentlich alles, was mit Fantastik zu tun hatte.
Fast unüberschaubar, und Jane war dabei gewesen, all die Dinge in einem Computer zu speichern, aber das würde jetzt erst einmal gestoppt werden.
Zu Janes kleiner Wohnung gehörten drei Zimmer. Der normale Wohnraum, das Bad und die kleine Küche. Mrs. Goldwyns Schlafzimmer befand sich auch noch auf dieser Etage, es lag den anderen drei Räumen gegenüber, aber dorthin wollte die Horror-Oma nicht.
Vor Janes Wohnungstür blieb sie stehen, winkelte bereits den Arm an und holte tief Luft. Noch traute sie sich nicht, an die Tür zu klopfen. Irgend etwas warnte sie. Das Gefühl, im eigenen Haus eine Fremde zu sein, überfiel sie regelrecht.
Eigentlich verrückt, aber es war so.
Aus dem Zimmer hörte sie nichts. Es war eine Ruhe, die sie aufgeregt machte.
Lady Sarah strich durch ihr graues Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden hatte. Sie spürte auch weiterhin den Druck. Wenn sie Luft holte, bekam sie Beklemmungen, und als sie sich entschlossen hatte, gegen die Tür zu klopfen, vernahm sie Janes Stimme.
»Du kannst ruhig reinkommen, Sarah, ich weiß ja, daß du vor der Tür stehst. Ich habe dich gehört.«
Die Horror-Oma atmete aus. Es hatte ihr gutgetan, Jane Collins so reden zu hören. Sogar ein Lächeln konnte sie sich leisten, als sie die Klinke nach unten drückte und die Tür aufstieß.
Das Zimmer war nett eingerichtet. Jane hatte sich nach dem Einzug neue Möbel besorgt. Helles Holz, auch helle Wände, so wirkte der Raum optisch größer.
Einige Bilder, meist moderne Graphiken, zeugten von Janes außergewöhnlichem Geschmack. Ein altes Sofa und zwei sehr kleine, moderne Sessel standen sich gegenüber. Der Glastisch zwischen ihnen zeigte eine Nierenform und besaß ein Standbein aus Kunststoff.
Jane saß mit dem Rücken zu der Eintretenden. Sie hatte das Haar etwas hochgesteckt. Bunte Spangen steckten in der blonden Pracht. Jane trug einen grünen, grobmaschig gestrickten Pullover, der bis auf die Oberschenkel fiel. Die gelbe Hose war an den Seiten ausgestellt und lief erst zu den Knöcheln hin wieder enger zu.
Lady Sarah schloß die Tür und blieb einen Schritt davor stehen. »Weshalb schaust du mich nicht an, Jane?«
»Muß ich das?«
»Es wäre besser, wenn wir uns unterhielten.«
Jane erwiderte nichts. Sie senkte den Kopf und hob die Hände an. Dabei strich sie über ihre Haut, fühlte genau nach und nickte schließlich. »Ja, du hast recht, wir können uns besser unterhalten, wenn wir uns in die Augen schauen.«
Sie stand auf und drehte sich um.
Sarah Goldwyn war auf das Schlimme vorbereitet gewesen, das allerdings trat nicht ein. Vor ihr stand eine Jane Collins, die aussah wie immer. Ein normales Gesicht, die glatte Haut, die aufmerksamen Augen, der weiche Mund, deren Winkel allerdings zuckten, als hätte sie Mühe, ein Weinen zu unterdrücken.
»Schau mich an, Sarah! Sieh mir ins Gesicht, bitte…« Ihre Stimme klang leicht schrill.
»Das tue ich ja!«
»Und?«
Die Horror-Oma lächelte. »Vor mir steht eine normale Jane Collins. Du siehst aus wie immer.«
Jane hob die Arme an. Wieder strich sie durch ihr Gesicht. »Ja, ich sehe aus wie immer. Ich kann mich sogar vor einen Spiegel stellen und hineinschauen. Ich würde keine Veränderung feststellen, aber ich bin mit dem Wissen belastet, daß bei Sonnenaufgang der Fluch eintreten wird. Mir bleiben nur die Stunden der Dunkelheit, um so leben zu können wie früher. Sarah, ich bin zu einem Geschöpf der Nacht
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