05 - Der Schatz im Silbersee
‚Gute Sonne‘ oder die ‚Große Sonne‘. Er ist ein sehr tapferer und erfahrener Krieger und dabei kein eigentlicher Feind der Weißen, obgleich die Osagen zu den Völkerschaften der noch ungezähmten Sioux gehören.“
Unten angekommen, fanden sie den Uncle in einer steifen, theatralischen Pose. Er hatte alles gehört und diese Haltung angenommen, um seinen roten Freund möglichst würdevoll zu begrüßen.
Nach kurzer Zeit begannen die Pferde zu schnauben, und gleich darauf sah man den Indianer kommen. Er befand sich in den besten Mannesjahren und trug die gewöhnliche indianische Lederkleidung, welche an einigen Stellen zerrissen und an andern mit frischem Blut befleckt war. Waffen hatte er keine. Auf jede seiner Wangen war eine Sonne tätowiert; an seinen beiden Handgelenken war die Haut aufgeschunden. Er mußte gebunden gewesen sein und die Fesseln gesprengt haben. Jedenfalls befand er sich auf der Flucht und wurde verfolgt.
Trotz der Gefahr, die dem Indianer drohte und ihm sehr nahe sein konnte, kam er sehr langsam herbei, reichte, ohne zunächst den Engländer zu beachten, den beiden Jägern die Rechte und sagte im ruhigsten Ton und sehr geläufigem Englisch: „Ich habe die Stimme und Gestalt meines Bruders und Freundes sogleich erkannt und freue mich, euch begrüßen zu können.“
„Wir freuen uns desgleichen; das wirst du uns glauben“, antwortete Humply.
Der lange Uncle hielt beide Hände ausgestreckt über den Kopf des Roten, als ob er ihn segnen wolle, und rief aus: „Sei gegrüßt im Erdental – viele, viele tausendmal – großer Häuptling, edler Schatz – nimm bei deinen Freunden Platz – und verzehr in aller Eile – diesen Rest der Reheskeule !“
Bei den letzten Worten deutete er in das Gras, wo das lag, was der Lord von der Keule übrig gelassen hatte, nämlich der Knochen mit einigen harten Fleischfasern, welche dem Messer nicht hatten weichen wollen.
„Still, Uncle!“ gebot Humply, „es ist jetzt wahrhaftig keine Zeit für deine Gedichte. Siehst du denn nicht, in welchem Zustand sich der Häuptling befindet?“
„Gebunden, doch entkommen – hat er zu seinem Frommen – die Flucht hierher genommen“, antwortete der Gescholtene deklamierend.
Der Buckelige wendete sich von ihm ab, deutete auf den Lord und sagte zu dem Osagen: „Dieses Bleichgesicht ist ein Meister im Schießen und ein neuer Freund von uns. Ich empfehle ihn dir und deinem Stamm.“
Da gab der Rote dem Engländer nun auch die Hand und antwortete: „Ich bin der Freund eines jeden guten und ehrlichen Weißen; die Diebe, Mörder und Leichenschänder aber sollen vom Tomahawk gefressen werden!“
„Bist du so schlimmen Leuten begegnet?“ erkundigte sich Humply.
„Ja. Meine Brüder mögen ihre Gewehre bereit halten, denn diejenigen, welche mir nachjagen, können jeden Augenblick hier sein, obgleich ich sie nicht gesehen habe. Sie werden zu Pferd sitzen und ich mußte gehen; aber die Füße der ‚Guten Sonne‘ sind so schnell und ausdauernd wie die Läufe des Hirsches, den kein Roß erreicht. Ich bin viele Bogen und Kreise gegangen, auch habe ich mich oft rückwärts bewegt, mit den Fersen voran, um sie aufzuhalten und irre zu führen. Sie trachten nach meinem Leben.“
„Das sollen sie bleiben lassen! Sind ihrer viele?“
„Ich weiß es nicht, denn als sie meine Flucht entdecken mußten, war ich schon fort.“
„Wer ist es denn? Welche Weißen konnten es wagen, die ‚Gute Sonne‘ gefangen zu nehmen, um sie zu töten?“
„Es sind viele, viele Menschen, mehrere hundert schlechte Leute, welche von den Bleichgesichtern Tramps genannt werden.“
„Tramps? Wie kommen diese hierher, und was wollen sie in dieser abgelegenen Gegend? An welchem Ort befinden sie sich?“
„In dem Winkel des Waldes, welchen ihr Osagenook nennt, den aber wir die Ecke des Mordes heißen, weil unser berühmtester Häuptling mit seinen tapfersten Kriegern dort hinterlistig umgebracht worden ist. Alle Jahre, wenn der Mond sich dreizehnmal gefüllt hat, besuchen einige Abgesandte unsres Stammes diesen Ort, um an den Gräbern der gefallenen Helden den Tanz des Todes aufzuführen. So verließ auch ich in diesem Jahr mit zwölf Kriegern unsre Weidegründe, um mich nach dem Osagenook zu begeben. Wir kamen vorgestern dort an, suchten die Gegend ab und überzeugten uns, daß kein feindliches Wesen vorhanden sei. Wir fühlten uns also sicher und schlugen unser Lager bei den Gräbern auf. Gestern jagten wir, um Fleisch zur
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