05 - komplett
gehörte, ließen sich von ihrer Gastgeberin die Umgebung zeigen. Am Tempel der Diana wollten sie eine Pause machen und sich Erfrischungen servieren lassen. Der Tempel war auf einer rechteckigen Empore errichtet, von der auf allen vier Seiten flache Stufen hinabführten. Der von Säulen getragene Portikus bot gerade an einem so heißen, sonnigen Tag wie heute willkommenen Schatten, und gern ließen sich die Damen auf den bereitgestellten Stühlen nieder, um die atemberaubende Aussicht zu genießen.
Eloise setzte sich zu Margaret Cromer, und in freundschaftlichem Schweigen saßen sie eine Weile nur da und bewunderten die sommerliche Landschaft. Unwillkürlich musste Eloise an den gestrigen Abend denken und wie anders derselbe Flecken Erde im silbrigen Mondlicht ausgesehen hatte.
„Was für ein wehmütiger Seufzer, meine Liebe“, sagte Margaret. „Ich hoffe, du bist nicht unglücklich.“
Eloise fuhr zusammen. „Habe ich geseufzt? Oje, das habe ich gar nicht gemerkt. Wie könnte ich an einem so wunderschönen Ort unglücklich sein?“
„Ich weiß es nicht“, meinte Margaret lächelnd. „Aber ich habe dich sehr lange nicht gesehen, Eloise. Vielleicht hast du dich in der Zwischenzeit sehr verändert und freust dich nicht mehr an der Natur, wie du es früher zu tun pflegtest. Ziehst inzwischen die Vergnügungen der Stadt den einfachen Freuden des Landlebens vor.“
„Überhaupt nicht, Meg“, stritt Eloise ab. „Warum glaubtest du das?“
„Nun, man hört so einiges, meine Liebe.“
„Oh.“ Eloise wandte sich ihr eifrig zu. „Der Klatsch über mich, nicht wahr? Ich weiß, viele Leute meinen, ich benehme mich schändlich.“
Margaret tätschelte ihr die Hand. „Aber mein Kind, es ist nur natürlich, dass du nach einem Jahr der Trauer den Wunsch verspürst, dich zu vergnügen. Die meisten haben großes Verständnis für dich und meinen nur, dass du dich vielleicht ein wenig zu sehr von deiner Hochstimmung mitreißen lässt. Mir ist aufgefallen, dass du und Major Clifton gestern Abend über eine Stunde fort wart. Es ist sehr leicht, einen guten Ruf zu verlieren, meine Liebe.“
Eloise senkte den Kopf. „Ich weiß. Hat es sonst noch jemand bemerkt?“
„Das glaube ich schon. Mrs Renwick sagte dazu allerdings nur, wie sehr sie sich darüber freut, dass der Major sich wieder für eine Frau interessiert.“
Scheinbar damit beschäftigt, ihren Rock glatt zu streichen, fragte Eloise leichthin:
„Oh, unsere Gastgeberin kennt den Major wohl sehr gut, was?“
„Ihr Gatte ist ein Freund von ihm“, erwiderte Margaret. „Wie ich höre, hat der Major in seiner Jugend eine große Enttäuschung erlebt. Er hatte sich in ein Mädchen verliebt, das leider einen anderen heiratete. Offenbar war sie so bezaubernd und so sittsam, dass er seitdem keine Frau angesehen hat – keine seines Standes, meine ich.
Denn an Geliebten soll es ihm nie gemangelt haben.“
Bedrückt schwieg Eloise einen Moment. Sie konnte sich gut vorstellen, dass ein so aufrechter, ehrenhafter Mann wie der Major sich in ein Muster an Schicklichkeit verliebt hatte. In ihr selbst, deren Ruf wirklich nicht der beste war, sah er wohl nur eine mögliche Geliebte. Plötzlich erschien ihr der Tag nicht mehr so sonnig. „Ich habe mich gewiss ein wenig unvorsichtig verhalten“, sagte sie leise. „Manch einer würde mich wohl leichtlebig nennen. Aber das gedenke ich zu ändern“, fügte sie entschlossen hinzu. „Ich werde mir von jetzt an Mühe geben, mich wie eine achtbare Witwe zu benehmen.“
„Fang also gleich heute Abend an.“ Margaret zwinkerte ihr humorvoll zu. „Keine Mondscheinspaziergänge mehr, so stattlich der Gentleman auch sein mag!“
Niemand hätte sich schicklicher benehmen können als Lady Allyngham an diesem Abend. Sie war anmutig und bezaubernd, blieb aber die ganze Zeit an der Seite ihrer Gastgeberin. Als die Spieltische aufgestellt wurden, konnte sie nur zu einem harmlosen Whist-Spiel überredet werden.
Jack machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern, beobachtete aber mit stillem Vergnügen, wie die anderen Gentlemen erfolglos trachteten, sie von der Gruppe zu trennen. Lady Allyngham schien entschlossen zu sein, mit dem Flirten aufzuhören.
Nach dem Kartenspiel wurde Tee serviert, und die Gäste versammelten sich um den Kamin herum. Mr Renwick ergötzte alle mit Geschichten aus seiner Jugendzeit und den Streichen, mit denen er und sein Bruder die Gegend unsicher gemacht hatten.
„Ja, so sind kleine Jungen nun
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