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Auf die Ohren

Auf die Ohren

Titel: Auf die Ohren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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1.
    »Eins, zwei, drei, vier!«
    »Halt, stopp, ich bin noch nicht so weit! Hat irgendjemand mein Plek gesehen? Eben hatte ich’s doch noch.«
    Immer das Gleiche mit Steffen. Ständig sucht er irgendwas. Seinen Schlüssel, seine Zigaretten, sein Feuerzeug, sein Portmonee, alles verschwindet plötzlich auf mysteriöse Weise, nur um kurz später genau dort wieder aufzutauchen, wo er es in seiner Schusseligkeit hingelegt und noch im selben Moment vergessen hat.
    Neulich hat er sogar seine Freundin Hannah verschlampt. Im Kino. Echt jetzt. Er musste während des Films auf Toilette, und als er zurückkam, war Hannah nicht mehr da – was schlicht und einfach daran lag, dass er sich im falschen Saal befand. Da er vermutete, dass sie in der Zwischenzeit ebenfalls zur Toilette gegangen war, setzte er sich und widmete sich dem Geschehen auf der Leinwand. Die Tatsache, dass er sich nun in einem Actionstreifen anstatt in einer Liebesschnulze befand, verwirrte ihn zwar kurz, hielt ihn aber nicht davon ab, bis zum Ende zu bleiben. Als Hannah dann immer noch nicht von der Toilette zurück war, dachte er, dass ihr der Film wohl nicht gefallen und sie deshalb das Kino verlassen hatte. Wobei ich zu seiner Verteidigung sagen muss, dass Hannah öfter mal einfach so verschwindet, wenn ihr irgendetwas nicht passt. Von daher war seine letzte Schlussfolgerung durchaus nachvollziehbar.
    Dass er damit allerdings komplett falschlag, merkte er, als draußen vor dem Kino ein halb voller Colabecher auf ihn zuflog, nebst einer wüsten Schimpftirade. Beidem konnte er nicht ausweichen.
    Solche Sachen passieren Steffen ständig. Er ist mit Abstand der schusseligste und vergesslichste Mensch, den ich kenne. Das Einzige, was er nie vergisst, sind seine Basslines und die Abläufe unserer Songs. Was das betrifft, gleicht er einem Präzisionsuhrwerk, da kommt kein Ton zu früh oder zu spät, da stimmt jede Nuance.
    Steffen ist der Traumbassist schlechthin, vor allem für mich als Schlagzeuger. Seine Perfektion zwingt mich dazu, selbst immer besser zu werden, damit ich neben ihm nicht wirke wie ein Stümper. Und im Gegensatz zu unserem alten Bassisten Mark macht es Steffen einen Höllenspaß, in einer Punkband zu spielen. Mark hat ständig gemeckert, dass ihm unsere Songs nicht abwechslungsreich und anspruchsvoll genug seien. Darum ist er auch vor knapp einem Jahr ausgestiegen und verwirklicht seine musikalischen Ansprüche seitdem in einer Crossover/Progrock/Fusion-Band, die sich selbst viel zu ernst nimmt und deren Mitglieder fest davon überzeugt sind, dass der fehlende Applaus bei ihren Konzerten ein Ausdruck stummer Bewunderung ist. Dass die Leute weder klatschen wollen noch können, weil ihre Hände damit beschäftigt sind, bleibende Schäden von ihren Ohren fernzuhalten, ist selbstverständlich nur eine von musikalischen Nichtskönnern verbreitete, neidtriefende Lüge. Jetzt mal ganz im Ernst und als wohlwollender Hinweis gemeint: Geht bitte nie auf ein Konzert der Fluorescent Armadillos, das Zeug kann man sich echt nicht anhören, ohne dass einem dabei sämtliche Fußnägel ausfallen.
    Aber okay, genug gelästert, ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich Mark nicht sonderlich vermisse, weder als Bassisten noch als Kumpel. In beiderlei Hinsicht passt Steffen nämlich viel besser zu uns. Er ist immer lustig drauf, meckert nie über unsere Songs und versprüht ständig gute Laune – wenn er nicht gerade wieder einmal sein Plek sucht.
    »Verdammt, das ist bestimmt schon das dritte in diesem Monat. Die Dinger können sich doch nicht einfach so in Luft auflösen.«
    Steffens Blick schweift angestrengt suchend über den Boden.
    »Auf dem Amp vielleicht?«, schlägt Robbie vor. »Unter dem Griff? Da rutschen meine auch manchmal drunter.«
    Steffen geht an seinen Verstärker, hebt den Griff an und wischt mit zwei Fingern prüfend darunter hindurch.
    »Nichts«, sagt er kopfschüttelnd und kratzt sich nachdenklich an der Stirn. »Was machen wir denn jetzt?«
    »Ist doch egal«, sagt Robbie. »Dann spiel eben ohne.«
    Eine typische Robbie-Aussage. Robbie ist so ziemlich alles egal. Er scheint irgendwie keine eigene Meinung zu haben. Zu gar nichts. Ich frage mich manchmal, ob er schon eine einzige Entscheidung in seinem Leben getroffen hat. Wann immer es darum geht, etwas zu entscheiden, ist es ihm egal. Tee oder Kaffee? Egal. Pizza oder Döner? Egal. Punkrock oder Volksmusik? Egal. Should I stay or should I go? Völlig egal. Das kann besonders in

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