050 - Die Blutsauger
Wunden.
Leroy Thompson schob seinen Hut energisch aus der Stirn und rieb sich die Augen. Ein langer Weg lag hinter ihm, und er war ohne Unterbrechung gefahren. Eine körperliche Müdigkeit hatte ihn erfaßt; doch sein Gehirn arbeitete perfekt, und er war in jener Stimmung, die einen Mann nur in den ganz frühen Morgenstunden überkommt.
Er drückte seinen Fuß hart auf das Gaspedal, und die schwere Limousine schoß in die Nacht wie ein Torpedo. Er fuhr eine weitere Stunde lang, dann verminderte er die Geschwindigkeit, um rechts in eine Seitenstraße einzubiegen, die quer über das Moor führte.
Er schaltete durch alle Gänge und bog von der Hauptstraße ab. Die schwarze Limousine schlitterte sanft auf dem schottrigen Untergrund. Die Nebenstraße war nur ein Feldweg, aber sie ersparte Leroy mehr als zwanzig Meilen, und er war froh, daß es sie gab.
Die Straße war eine alte Römerstraße, und davor war sie schon von den alten Druiden benützt worden, so behauptete wenigstens die örtliche Archäologengesellschaft, und Leroy nahm an, daß die Leute dort wußten, wovon sie sprachen. Er war bereit, ihnen aufs Wort zu glauben, zumindest was den Ursprung der Straße betraf. Stellenweise war sie vermutlich noch in ihrem Urzustand, und obwohl sie streckenweise schnurgerade durch Hecken führte, wand sie sich zuweilen wie die sprichwörtliche Seeschlange durch das flache Land.
Leroy schaltete zurück und nahm vorsichtig eine Kurve nach der anderen.
Plötzlich sah er vor sich einen dunklen Fleck, der sich bewegte. Er betätigte die Lichthupe, während er bremste. Jemand zu Fuß? Er warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war drei Uhr früh. Die Scheinwerfer des Wagens zeichneten scharf die Umrisse der Gestalt auf der Straße.
Scheinwerfer und Mond beleuchteten rückenlanges schwarzes Haar. Das Mädchen drehte sich um, als es das Motorengeräusch hörte, und trat eilig zur Seite.
Leroy blieb neben dem Mädchen stehen, lehnte sich hinüber und kurbelte das Fenster herab.
»Wollen Sie mitfahren?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd.
»He!« rief Leroy. »Was ist das für eine Antwort?«
»Ich weiß nicht, ob ich mitfahren will.«
Er musterte ihren Umhang. »Oh - Sie sind wohl Krankenschwester in der Klinik und haben Nachtschicht?«
»Nein.«
»Was heißt das?«
»Ich bin keine Krankenschwester.«
»Hören Sie zu Miß, ich bin müde und komme von weit her. Wenn Sie mitfahren wollen, ist es mir recht. Wenn nicht, so soll’s mir auch recht sein!«
»Ich möchte doch mitkommen, bitte.«
Sie kletterte zögernd in den Wagen. Die kohlschwarzen Haare fielen ihr in weichen, verführerischen Wellen über die Schultern nach vorn, und als er ihr zusah, hatte er den Eindruck, daß sie nicht besonders vertraut im Umgang mit Autos war. Das war aber nichts Besonderes, wenn sie in dieser Gegend lebte. Sein Blick fiel auf ihr Kleid, als sie einstieg. Es war das hübscheste Abendkleid, das er je gesehen hatte. Es umschloß ihre Gestalt wie eine zweite Haut und war aus rotem Samt. Der tiefe Ausschnitt betonte ihren festen, vollen Busen mehr als er ihn verbarg.
Leroy Thompsons Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen. Vielleicht wurde dies die Nacht der Nächte? Das Leben war seit Monaten eintönig dahin gelaufen, und es schien an der Zeit, daß etwas Interessantes, Unvorhergesehenes für Unterbrechung des ewig gleichen Trotts sorgte. Er spürte das Blut in den Adern kribbeln, als er die Kupplung losließ und den schweren Wagen wieder in die Mitte der schmalen Straße steuerte.
»Das gefällt mir«, sagte das Mädchen leise.
Leroy hörte ihre Stimme und fühlte, wie seine Kehle vor freudiger Erwartung trocken wurde. Die Stimme paßte zu allem übrigen: sie war ganz Frau. Ihre Stimme war süß wie Honig und so aufregend wie teures Parfüm. Er fragte sich, wer sie war, und was, zum Teufel, sie hier draußen in dieser einsamen Gegend im Osten Englands tat. Was wollte ein Mädchen ihrer Art auf einem Feldweg? Sie war für eine Party im Buckingham-Palast gekleidet. Er sah neugierig hinunter, um nach ihren Schuhen zu sehen. Ein Mondstrahl fiel durch das Seitenfenster und auf den Boden. Leroy unterdrückte einen überraschten Ausruf: Sein entzückender Passagier trug keine Schuhe, sie war barfuß wie eine Zigeunerin. Zigeunerin? Vielleicht war das die Antwort. Aber trugen Zigeunerinnen solche Kleider? Und nun, wo er es genau überdachte: Wer trug eigentlich solche Mode? Dieser Stil war seit etwa drei
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