0515 - Schreie aus dem Werwolf-Brunnen
die Augen. Äußerlich bot ich einen ruhigen Anblick, im Innern jedoch war ich aufgewühlt und hochgradig nervös. Ich glaubte dem Anrufer. Ich glaubte fest daran, daß er und seine Kumpane Suko gefangenhielten.
Aber warum?
Sie hatten ihn um Hilfe gebeten, er war gefahren, und jetzt rief man mich an. Auch ich sollte in diesen Ort kommen und ebenfalls in eine Falle gelockt werden.
War es tatsächlich eine Falle? So recht wollte ich daran nicht glauben, denn eine erkannte Gefahr ist eine halbe Gefahr. Dann hätte man mich nicht erst zu warnen brauchen. Mit diesem Herlocken verfolgte man meiner Ansicht nach eine andere Absicht.
Es gehört zu meinem Job, daß mir schon rätselhafte Dinge passiert sind. Das war auch hier der Fall. Meine Gegner bedienten sich oft ungewöhnlicher Methoden, um meiner habhaft zu werden. So war es auch hier. Etwas allerdings sah ich als positiv an. Der Anrufer war sicherlich kein Dämon gewesen.
Mir schossen zahlreiche Vermutungen durch den Kopf. Es gab viele asiatische Sekten, auch chinesische. Oft gefährliche Gruppen, die weder Tod noch Teufel scheuten.
Das schien hier der Fall zu sein. Suko mußte meiner Ansicht nach an eine dieser Gruppen geraten sein.
Am nächsten Tag sollte ich erst fahren. Ich wollte mich an die Richtlinien halten, wußte aber auch, daß eine sehr lange Nacht mit quälenden Gedanken vor mir liegen würde. Ob ich überhaupt Schlaf finden würde, stand in den Sternen.
Die vorweihnachtliche Stimmung jedenfalls war hin…
***
Auch für Suko wurde die Nacht sehr lang. Hinzu kam diese verdammte Dunkelheit, in der er lag. Wie in schwarze Watte eingepackt, kam er sich vor. Man hatte ihm keinerlei Erklärungen mehr gegeben und ihn allein gelassen. Wie vergessen kam er sich vor.
Einmal hatte es eine Unterbrechung gegeben. Da hatte er einen furchtbaren Schrei gehört. Dann war Pause gewesen, dann war der Schrei abermals aufgeklungen.
Jetzt lag Suko wieder in dieser bedrückenden Stille und Dunkelheit. Niemand ließ sich blicken. Er wußte auch nicht, wieviel Zeit verstrichen war.
In diesem Raum herrschte immer Nacht. Suko wußte nicht einmal, ob sich eine Lampe an der Decke befand.
Und so wartete er.
Der Schrei wiederholte sich nicht. Dafür vernahm er andere Geräusche.
Schritte…
Diesmal war es nicht nur eine Person, die sich ihm näherte. Es mußten mehrere sein.
Er lauschte gespannt. Mit starrem Blick schaute er in die Finsternis, ohne überhaupt etwas erkennen zu können. Nicht einmal einen Schatten oder eine Bewegung.
Aber sie waren da.
Nicht nur eine Person, vielleicht vier oder fünf. Sie hielten sich in seiner Nähe auf. Er nahm ihren Geruch auf und hörte das Schleifen ihrer Sohlen auf dem Boden.
Dank der Geräusche konnte er sich so gut orientieren. Er stellte fest, daß sie einen Kreis zogen. Ja, sie kreisten ihn regelrecht ein, als sollte er, in der Mitte liegend, das Opfer werden.
Noch blieb es dunkel. Nicht der kleinste Lichtschein durchbrach die Finsternis.
Suko wartete.
Die Zeit erschien ihm jetzt noch länger. Er spürte auch die Fesseln nicht mehr, ignorierte den Druck der dünnen Schnüre einfach, die anderen Dinge waren zu dominierend.
Etwas schrammte über den Boden. Suko mußte raten und kam zu dem Ergebnis, daß es sich dabei um Möbelstücke handelte, die verrückt worden waren.
Möglicherweise handelte es sich dabei um Stühle oder andere Sitzgelegenheiten. Dann trat Stille ein.
Kurze Zeit später merkte Suko, daß es so still nicht war. Er vernahm ein schweres Atmen. Geräusche, die abgehackt klangen, als stünden gewisse Personen unter einem schweren Druck.
Weshalb wurde kein Licht gemacht?
Suko hatte sich entschlossen, selbst die Initiative zu ergreifen. Er stellte eine Frage. »He, wer seid ihr denn? Weshalb zeigt ihr euch nicht? Macht es Spaß, in der Dunkelheit zu hocken?«
Er bekam keine Antwort.
Wieder verstrich Zeit. Bis plötzlich alles anders wurde. Unter der Decke erschien ein heller Kreis. Eine Lampe war eingeschaltet worden. Ihr Licht strahlte auch in die Tiefe und füllte genau die Fläche des Raumes aus, die es auch ausfüllen sollte.
Suko, der lange im Dunkeln gelegen hatte, mußte einige Male blinzeln, um überhaupt etwas erkennen zu können.
Vor seinen Augen lag ein leichter Schleier, der aber sehr schnell verschwand.
Er sah – und glaubte sich in einen Alptraum versetzt. Was sich da um ihn herum verändert hatte, konnte kaum wahr sein. Trotzdem entsprach es den Tatsachen.
Es mußten sechs Personen
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