0515 - Schreie aus dem Werwolf-Brunnen
»Möglich. Jedenfalls habt ihr meine Hilfe angefordert, und ich bin gekommen.«
»Das mußte auch so sein.«
»Ich weiß nicht«, hielt Suko dagegen, »ob das so stimmt.« Er schaute sich um.
Die Straße war menschenleer, überhaupt machte der gesamte Ort einen ausgestorbenen Eindruck.
Über den Dächern der niedrigen Häuser lag eine bleigraue Dämmerung. Suko konnte in den Ort hineinschauen, denn das Haus, vor dem er gestoppt hatte, befand sich am Dorfeingang. Hier wohnten auch seine Landsleute, die ihn um Hilfe gebeten hatten.
»Komm näher!«
»Und wenn ich nicht will?«
In dem blassen Gesicht des Chinesen bewegte sich kein Muskel.
»Werde ich schießen müssen!«
»Das wäre Mord!«
Jetzt zuckte ein Lächeln um die Lippen des Mannes, der eine Jeans mit noch ausgestellten Beinen trug und einen dicken Winterpullover. »Wir befinden uns in einer Lage, wo es auf Mord nicht einmal ankommt«, erwiderte er und hatte in einem Tonfall gesprochen, den Suko ihm abnahm. Er stammte selbst aus China, kannte die Mentalität seiner Landsleute und ihr Verhältnis zu Tod, Sterben und Rache.
»Wenn das so ist«, sagte er, »werde ich kommen. Schließlich will ich die lange Reise nicht umsonst gemacht haben.« Er hob die Schultern und schritt auf die Mündung zu.
»Vorsichtig«, flüsterte der Mann mit der Maschinenpistole, »sei ja vorsichtig! Ich weiß, wer du bist.«
»Keine Sorge, ich nehme dir dein Spielzeug schon nicht ab.« Suko sah, wie der Mann zurücktrat. Der graue Schatten eines dunklen Flurs verschluckte ihn, nur der MPi-Lauf blieb sehr gut sichtbar. Er schimmerte leicht bläulich.
Suko brauchte keine Treppe zu überwinden. In diesem alten Bau hatte man darauf keinen Wert gelegt. Der Gang hinter der Tür war schmal. Er teilte das Haus praktisch in der Mitte. Rechts und links zweigten zwei breite Türen ab.
»Wohin?« fragte Suko.
Der Mann antwortete ihm aus der Dunkelheit. »Nach links, von dir aus gesehen.«
»Danke.«
Suko öffnete eine Tür. Ein Geruch, den er aus seiner alten Heimat China her kannte, empfing ihn. Es war der Duft nach Speisen und Räucherstäbchen. Die Chinesen, die hier ihre Heimat gefunden hatten, standen noch zu den alten Bräuchen.
»Weiter, weiter!« Suko vernahm hinter sich die Tritte, als der Kerl mit der MPi näher kam.
»Nur keine Hektik«, ergänzte er locker und stieß die Tür so weit auf, daß sie mit der Klinke gegen die andere Wand stieß. Dann trat er in einen Raum, in dem kein Licht brannte nicht einmal eine Kerze.
Gefahr!
Sukos Sinne waren bis zum Äußersten gespannt. Sie signalisierten ihm dieses Gefühl. Etwas lag auf der Lauer wie ein Raubtier, das ihn gleich anspringen würde.
»Willst du nicht gehen?«
»Was soll ich in der Dunkelheit?«
Der Mann hinter ihm hob sein Bein und trat zu. Das hatte Suko nicht erwartet. Er hatte sich zu sehr auf die vor ihm liegende Finsternis konzentriert, in die er machtvoll hineinkatapultiert wurde.
Dann kamen sie über ihn.
Sie mußten vier oder fünf Personen sein. Suko bekam keine Chance. Er spürte ihre entschlossen geführten Hiebe, die gegen seinen Körper federten, genau dosiert waren, aber nicht so schlimm, daß sie Suko endgültig zu Boden gestreckt hätten.
Die ersten nahm der Inspektor, ohne sich zu wehren. Er rollte sich nur zusammen und gleichzeitig über den Boden, dann explodierte er. Er bäumte seinen Oberkörper aus der Rückenlage hoch, streckte die Beine, und die Füße fanden ihre Ziele.
Sie wühlten sich in weiche Gegenstände. Er hörte das Keuchen, auch mal ein wildes Fluchen. Jemand fiel zu Boden. Ein Wilder Schrei klang auf, als Suko mit einem Rundschlag jemand erwischte, der dumpf zu Boden prallte. Suko glaubte bereits, es geschafft zu haben, als die ihre Waffen zogen.
Suko vernahm das bekannte Pfeifen. Er hämmerte gegen seine linke Schulter. Ein harter Gegenstand, wahrscheinlich ein Kendo-Stock, der den linken Arm lähmte.
Jemand sprang auf seine Brust und fiel dort zusammen. Gleichzeitig wischte es über sein Gesicht, eine huschende Bewegung, als wäre er von einer Feder berührt worden.
Es war keine Feder, sondern eine Schlinge. Dünn und aus Seide, aber ungemein stark. Sie zurrte sich an seiner Kehle fest, biß sich in die Haut, schnürte die Luft ab, und wenn Suko sich jetzt hochgestemmt hätte, wäre dies einem Selbstmord gleichgekommen.
Er blieb liegen.
Der Kerl mit der Seidenschlinge befand sich hinter ihm. Dessen warmer Atem streifte Sukos Gesicht. Er nahm auch den Geruch
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