0516 - Monster-Kirmes
betreten zu können, um seinem Freund Yakup zu folgen.
»Ist es soweit?«
Der Knitter-Chinese nickte. »Ja, mein junger Freund, du kannst den Tunnel der Angst betreten.«
»Muß ich Angst haben?«
»Jeder hat Angst. Aber die im Tunnel ist eine andere als die Angst im Innern des Menschen.«
»Ach so.« Ali hatte die Sätze zwar nicht so recht begriffen, er war jedoch froh, nicht so lange warten zu müssen und stieß die Tür auf.
Sie schwappte hinein in die Finsternis, in die auch Ali gehen mußte, um den Tunnel der Angst zu betreten.
Schon nach den ersten Schritten ärgerte er sich, weil er überhaupt nichts sehen konnte. Er trat hinein in die schwarze Watte der Finsternis, die sich über ihn gelegt hatte. Zur Orientierung und zur Sicherheit suchte er nach einem Halt. Den Handlauf eines Geländers entdeckte er auf der rechten Seite.
Das war schon gut.
Er hörte weder etwas von Yakup noch von seinem Vordermann, auch nichts von einer Person, die hinter ihm ging. Ali kam sich völlig alleingelassen vor.
Nicht nur die Finsternis umgab ihn, auch eine bedrückende Stille, die tatsächlich das Gefühl des Verlassenseins und der Angst erzeugen konnte, weil Ali sehr schnell feststellte, weil sein Herz plötzlich überlaut schlug.
Der alte Chinese hatte nicht gelogen. Sehr vorsichtig ging Ali weiter. Das hier war der Tunnel der Angst, er rechnete mit Überraschungen, die auch eintrafen.
Ein Teufel sprang vor ihm hoch. Das grüne Gesicht, die roten Augen, die abstehenden Ohren und dann das Gelächter, als sich dieser kleine Pappteufel wieder zurückzog.
Ali stand allein.
Die Überraschung hatte er schnell überwunden. Der Junge gehörte nicht zu den Personen, die sich leicht aus der Bahn werfen ließen.
Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich, weil er sich an die Umgebung gewöhnte.
So ging er weiter.
Die Dunkelheit schluckte ihn, der Tunnel war dicht und wurde von keinem Windhauch durchweht.
Die trockene Luft roch nach Ölfarbe, aber auch nach irgendwelchen Kräutern oder Gewürzen, die Ali allesamt ziemlich fremd vorkamen. Er orientierte sich zur rechten Seite hin, wo sich der Handlauf befand und er sich abstützen konnte.
Daß Yakup kurz vor ihm in die Tiefe gejagt war, wußte er nicht.
Und bei ihm funktionierte der Mechanismus auch nicht. Ali schritt darüber hinweg, als wäre nichts gewesen.
Dafür sah er das blaue, wolkige Licht. Eine neue Erscheinung, nicht so gräßlich bemalt wie der Teufelskopf. Es wirkte eher anziehend und lockend auf den Betrachter.
Ali lief darauf zu. Der Untergrund hatte sich etwas verändert. Er war weicher geworden. Wenn seine Sohlen den Boden berührten, so hörte er leicht knarrende Geräusche, die wie feine Echos durch die Stille des Tunnels drangen.
Er wollte wieder zum Handlauf tasten und faßte ins Leere. Der Halt war plötzlich verschwunden.
Aber das Licht existierte.
Ali blieb stehen. Er konzentrierte sich auf die blaue Wolke, die nie stillstand, sich drehte, aufquoll, mal zusammenfiel und so wirkte, als wäre sie aus zahlreichen Einzelteilen zusammengesetzt, die ineinanderliefen.
Noch traute er sich nicht, den nächsten Schritt zu tun. Er kam sich vor wie auf einer weiten Insel stehend, die nicht vom Wasser, dafür aber von der Dunkelheit umgeben war.
Dann hörte er das Knacken. Er konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung das leise klingende Geräusch aufgeklungen war, jedenfalls spürte er die Folgen.
Der Boden unter ihm wanderte nach vorn. Sehr langsam nur, dafür mit einem Ruck beginnend, so daß Ali kurz nach hinten kippte, sich aber wieder fing und seinen Körper nach vorn beugte.
Sehr schnell stellte er fest, daß er sich auf einem Transportband befand, das ihn hinein in die tiefe Dunkelheit brachte. Gleichzeitig näherte er sich auch dem blauen Licht.
Wie breit das Fließband war, hatte er nicht feststellen können. Dafür überkam ihn das Gefühl, daß sich seine gesamte Umgebung in Bewegung befand. Eine Insel, die wanderte.
Noch immer wollte die in der Reklame versprochene Angst sich nicht bei ihm einstellen. Ali fühlte eine gewisse Spannung, das Prickeln vor den kommenden Ereignissen.
Ein Motor trieb das Band weiter. Es lief gleichmäßig, ohne zu rucken, und es brachte Ali der blauen Lichtwolke immer näher.
Die Dunkelheit blieb. Trotzdem glaubte er nicht daran, sich in der Enge zu bewegen. Er breitete die Arme aus und spreizte sie so weit vom Körper ab wie möglich.
Nirgendwo fand er Widerstand.
Die Wolke vergrößerte sich, je
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