0524 - Er raubte die mordende Göttin
aus der Dunkelheit des Grabes vor ihr fragte:
»Willst du es wirklich trinken, schöne Phädra…?«
***
Nein, sie trank nicht. Sie setzte die Schale auch nicht ab. Sie blieb stehen und schielte über den Rand des Gefäßes hinweg.
Der Sprecher zeigte sich nicht, trotzdem wußte Phädra genau, wer ihr da heimlich gefolgt war. Sie hatte seine Stimme deutlich erkannt.
Und sie wunderte sich ein wenig darüber, daß er ihr gefolgt war und nicht bei den Häschern steckte.
»Weshalb hältst du dich versteckt, Meneris?«
Sein Lachen klang abgehackt und gleichzeitig hallend. »Weil ich dir nicht traue.«
»Da hast du recht. Man darf mir einfach nicht trauen. Nie dem Weibe trauen. Neun meiner Geliebten haben es getan! Riechst du ihr Blut und den Moder, Meneris? Riechst du es?«
»Ja, ich weiß Bescheid.«
»Dann willst du vielleicht der zehnte sein?«
»Hätte ich dich dann gewarnt?«
Phädra ließ die Schale etwas sinken. Die Haltung war einfach zu unnatürlich gewesen. »Wann hast du mich gewarnt, Meneris?«
»Noch in der Stadt, nahe der Tempel. Erinnere dich daran. Die Häscher sind dir auf der Spur. Viele Männer wollen dich tot sehen. Sie haben Soldaten angeheuert. Du wirst keine Chance mehr haben. Noch in dieser Nacht werden sie hier erscheinen und deine Grabkammer leerräumen. Es tut mir leid für dich, Phädra.«
»Jetzt auch noch, Meneris?«
»Wie meinst du das?«
Phädra lachte lockend. »Ich erkenne dich zwar nicht, ich sehe dich dennoch. Ich kann mir deinen gierigen Blick vorstellen, wie er über meinen Körper streift. Ich kann mir denken, was in deinem Kopf vorgeht. Du möchtest mit mir schlafen, du willst mich besiegen, und ich soll unter dir liegen, mein Freund…«
Die Worte hatten Meneris aufgewühlt. Er verließ seinen schützenden Schatten und kam so weit vor, daß ihn der Lichtkreis der Fackeln streifte.
Meneris gehörte zu den kräftigen Männern. Man hätte ihn auch als einen exzellenten Krieger bezeichnen können, jedenfalls war er ein Mann, auf den sich eine Frau verlassen konnte. Wer sich unter seinen Schutz stellte, war nicht verlassen.
Er trug auch die Kleidung der Krieger und hatte nicht auf seinen Helm verzichtet. Als Vertrauter und ein Mensch, der Zugang zu den heiligen Tempelanlagen besaß, konnte man ihm eine gewisse Macht nicht absprechen. Auch als Mann selbst wirkte er auf Frauen anziehend. Das dunkle Haar, der übergroße Wuchs und der kräftige Körper, das alles paßte einmalig zusammen.
Natürlich war er auch der Hofdame Phädra aufgefallen. Sie hatte ihn ebenfalls auf ihre Liste gesetzt, aber noch zappeln lassen. Das wußte Meneris nicht.
Er wollte auf sie zugehen, als die Frau die Hand ausstreckte.
»Nein, nicht weiter.«
»Willst du hier nicht weg?«
»Wolltest du mich retten, Meneris? Bist du deshalb zu mir gekommen? Hast du mich deshalb verfolgt?«
»Ich weiß Bescheid über dich. Ich weiß alles. Ich habe mich genau erkundigt. Ich bin dir auch nachgelaufen, du hast es nur nicht gesehen. Schon öfter war ich hier, du weißt es nicht. Ich möchte dich vor Schaden bewahren. Es ist verrückt, aber für mich bist du die Blume meines Herzens. Ich liebe dich, auch wenn du eine Mörderin bist.«
Sie lachte den Mann an. »Eine nur? Meneris, bitte! In dieser Gruft, in der sich unsere Herzen finden sollen, liegen immerhin neun Tote.«
»Und du wolltest die zehnte sein? Oder das zehnte Opfer?«
»Ja, ich halte den Trank bereits in den Händen. Ich wäre das letzte Opfer dieser Gruft geworden.«
»Du wolltest auch tot sein.« Meneris schüttelte den Kopf. »Das verstehe, wer will, ich nicht. Ich weiß nicht, weshalb du dein Leben so einfach wegwerfen willst.«
»Weil ich keine Chance habe.«
»Du hättest es wissen müssen, Phädra!«
Die Frau hob die Schultern. Meneris sah auch das geheimnisvolle Lächeln auf ihren Lippen. »Vielleicht habe ich es auch gewußt, das ist alles möglich. Vielleicht habe ich bewußt den Eingang der Grabkammer offengelassen. Möglicherweise will ich sogar, daß sie mich zwischen meinen toten Männern finden.«
Meneris begriff die Frau nicht. Er wußte auch nicht, was er sagen sollte. Phädras Schönheit hatte ihn betört. So etwas warf man nicht einfach weg. Sein Blick wechselte zwischen ihrem ebenmäßigen Gesicht und der Schale, die sie noch immer hielt. »Was ist das für ein Trank?« fragte er. »Ist es ein Giftbecher?«
Phädra lächelte nur. »Was meinst du denn?«
»Ja, ich glaube es.«
»Möglicherweise ist es ein
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