0524 - Er raubte die mordende Göttin
Becher«, sagte sie. »Der Becher des Todes, aber ich habe eine andere Frage an dich.«
»Bitte.«
»Liebst du mich?«
Meneris war überrascht, diese Worte zu hören. »Ich… ich kann nicht begreifen, was es soll?«
»Ich will nur von dir wissen, ob du mich tatsächlich liebst, Meneris? Gib mir eine Antwort.«
Er gab sie ihr nicht akustisch, sondern nickte ihr zu. »Ja, ich liebe dich.«
»Das ist gut, das ist wichtig, mein Freund. Wer mich liebt, muß bereit sein, alles für mich zu tun.«
»Was ist alles ?«
»Eben alles«, flüsterte Phädra. Ihre Worte verwehten in der Gruft, und sie ließ Meneris Zeit, darüber nachzudenken.
»Du meinst, er muß für dich in den Tod gehen?«
»Ja.«
Der Krieger schluckte. Er stand vor ihr, starrte sie an und spürte den Schweiß auf dem Hals. Die Lippen zuckten, aber nicht, weil er lächeln wollte, er kam nicht zurecht mit gewissen Dingen, legte seine Stirn in Falten und hörte, daß sie ihn an- oder auslachte.
»Wenn ich dich beobachte, dann bist du nicht bereit, alles für mich zu tun, Meneris!«
»Nein, oder ja. Aber ich lasse mich nicht von dir töten. Ich will nicht neben den anderen neun Liebhabern liegen und vermodern.«
»Das kann ich verstehen, aber es gibt einen Tod, der ist nicht endgültig, auch wenn es so scheint. Ich werde diesen Tod eingehen und irgendwann einmal zurückkehren, weil ich wiedergeboren werde. Verstehst du das, Meneris.«
»Ich glaube.«
»Es ist ganz einfach, mein Freund. Wer mich liebt, der muß bereit sein, mit mir in den Tod zu gehen. Die Widergeburt ist dann unsere große Möglichkeit.«
Meneris wunderte sich. »Du sprichst wie ein weiser Berater des Pharaos. Man kann dich fast als eine Göttin ansehen.«
»Vielleicht bin ich das auch.«
»Aber Göttinnen reden nicht gern mit Sterblichen. Sie können auch nicht sterben…«
»Wer sagt dir, daß ich sterben will?«
»Du willst dich töten. Der Trank…«
»Ich werde mich in den langen Schlaf begeben, Meneris, das ist der große Unterschied. Du solltest nachdenken, mein Freund. Nicht der Tod ist das Ende, es kommt noch etwas hinterher. Das weißt du doch, oder hat man dir das nicht gesagt?«
Der Krieger hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob die Götter mir wohlgesonnen sind.«
»Ich bitte dich, Meneris. Wenn du mich in dein Vertrauen setzt, sieht alles ganz anders aus.«
»Wie denn?«
»Das kann ich dir nicht sagen, deine Liebe muß groß genug sein. Ebenso dein Vertrauen. Laß mich den Trank zu mir nehmen. Danach wirst du die Schale leeren. Wenn du mich liebst, gehen wir gemeinsam in den Tod, der keiner sein wird.«
Meneris war von Phädra verrückt gemacht worden. Er mußte sie einfach besitzen. Zwar sah er hinter ihr die verwesten oder weniger verwesten Gestalten ihrer Liebhaber liegen, doch die Lebende überwog alles. Sie stellte auch das Grauen in den Schatten.
»Du überlegst noch, Meneris?«
»Ja.«
»Was gibt es da groß nachzudenken? Liebe kann Berge versetzen und den Tod überwinden. Ich würde dir vorschlagen, daß du es einmal probierst, mein Freund. Die Liebe ist ungemein stark. Wir sollten sie gemeinsam erleben…«
»Ich weiß nicht…«
»Es fällt dir also schwer, mir zu vertrauen?«
»Ja.«
»Dann kann deine Liebe nicht so groß sein. Ich mache dir folgenden Vorschlag, Meneris. Ich werde jetzt die Hälfte des Tranks zu mir nehmen. Anschließend gebe ich dir die Schale und du leerst sie bis zum Grund. Wir beide werden in ein anderes Reich hineintreiben und dort zusammenbleiben, bis die Zeit reif ist, daß wir uns wieder gegenseitig an diese Zeit hier erinnern. Ich bin die Göttin. Sag selbst, kann man eine Göttin töten? Kann eine Göttin sterben?«
»Ich glaube nicht.«
»So ist es, mein Freund. Eine Göttin stirbt nicht, sie lebt weiter, auch wenn sie tot ist. Du, der du Vertrauen in mich gesetzt hast, wirst auch weiterleben, du…«
»Sie sind da!« flüsterte Meneris. »Ich… ich habe Geräusche gehört. Sie sind da. Sie müssen die Totenstadt erreicht haben.«
»Laß die Krieger kommen, mein Freund. Sie schrecken uns nicht mehr. Es ist alles gelaufen.«
Meneris überlegte. Dann drehte er sich um, als hätte er einen entscheidenden Entschluß gefaßt, und lief zum Ausgang des großen Grabes. Sehen konnte er die Häscher nicht, er hörte sie jedoch, denn der Wind trieb ihre flüsternden Stimmen als Echo in die Nähe des Grabes.
Meneris war mit einem Schwert bewaffnet. Er gehörte zu den Männern, die es besonders gut führen
Weitere Kostenlose Bücher