053 - Der Brigant
eben Anthony genannt? Ich wußte selbst nicht, warum ich das tat.«
»Wahrscheinlich, weil es mein Name ist. Aber wenn Sie noch einen anderen Grund haben, so sind Sie entschuldigt. Warum heiraten Sie denn eigentlich überhaupt, Vera?«
»Vater will es durchaus haben ... es ist allerdings wahr, daß heutzutage Töchter nicht mehr heiraten, um ihrem Vater einen Gefallen zu tun - das kommt eigentlich nur noch in Büchern und Romanen vor. Und doch bin ich im Begriff, es zu tun. Ich kann meinen Vater nicht so verletzen und enttäuschen.«
»Aber Sie verwunden einen anderen noch viel tiefer«, sagte Anthony ruhig. »Sie tun mir dadurch bitter weh.«
Sie sah ihm offen in die Augen.
»Meinen Sie das wirklich?«
Er nickte.
Er wagte es nicht zu sprechen. Sie wollte etwas sagen, aber plötzlich sprang sie auf.
»Ich kann nicht länger bleiben, sonst begehe ich noch eine große Dummheit. Und was noch viel schrecklicher wäre, ich würde auch Sie zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen. Ich gehe jetzt als eine moderne Braut nach Hause, werde mir alle Hochzeitsgeschenke ansehen und ihren Wert zusammenrechnen.«
Sie gingen schweigend durch den Park, aber Anthony sprach schließlich doch noch auf sie ein; er bat, er schmeichelte, ja er drohte.
»Es hat ja keinen Zweck, Anthony«, sagte sie. »Ich liebe Sie doch gar nicht, es wäre lächerlich, wenn ich das behaupten wollte. Aber sicherlich liebe ich auch Philipp nicht. Vielleicht wären Sie das kleinere von beiden Übeln. Es täte mir leid, wenn Sie sich verletzt fühlten.« Sie drückte seinen Arm leidenschaftlich und war verschwunden, bevor er ahnte, daß sie die Absicht gehabt hatte, sich so schnell von ihm zu trennen.
Anthony Newton hatte eine schlaflose Nacht. Er war fest entschlossen, weder zur Kirche noch zu ihrem Hause zu gehen, aber plötzlich überkam ihn doch eine Sehnsucht, die stärker war als alle seine Entschlüsse, und er stand um elf Uhr unter einer kleinen Gruppe interessierter Zuschauer, die die Ankunft der Hochzeitsgäste erwarteten. Ein großer Wagen fuhr vor, ein Herr stieg aus und grüßte einen Bekannten. Es war Philipp Lassinger. Anthony hörte einen unwilligen Ausruf an seiner Seite, wandte sich um und sah zu seinem Erstaunen Mrs. Gaddit neben sich stehen, die Frau des Falschspielers.
»Hallo, Mr. Newton«, sagte sie. »Was denken Sie von dem Lumpen da? Ich wäre versucht hinzugehen und ihn anzuzeigen. Sie erkennen natürlich Sadbury nicht wieder?« »Sadbury?« rief Anthony entsetzt. »Das ist doch Lassinger!«
Sie nickte.
»Das ist doch sein Gewerbe! Es ist einfach schrecklich, daß man ihn nicht verfolgt - er wird sie schon während der Flitterwochen verlassen.«
»Aber Sadbury hat schwarze Haare und dunkle Gesichtsfarbe«, erwiderte Anthony heiser.
»Ich habe ihm doch die Haare blond gefärbt - die Prozedur hat fünf Tage lang gedauert -, und er hat mir nicht einen Cent dafür gegeben. Und ich habe ihn doch mit dem heruntergekommenen Lassinger, dem Morphinisten, zusammengebracht, dem eigentlichen Lassinger. Sadbury hat erzählt, daß er von Südamerika zurückgekommen sei, aber der wirkliche Lassinger ist seit langen Jahren hier in England gewesen. Hat Jay Ihnen den Mann nicht gezeigt?«
Blitzartig erinnerte sich Anthony an den verkommenen Menschen, den er damals in der Begleitung Sadburys gesehen hatte.
»Er wird sich aber mit diesem Mädchen in acht nehmen müssen, sonst kann er lebenslänglich Zuchthaus bekommen ...«
Anthony hörte ihr nicht mehr zu. Er sah, wie der Wagen mit der Braut kam, und im nächsten Augenblick stand er mitten auf der Auffahrt. Mr. Mansar half seiner Tochter beim Aussteigen. Sie sah in ihrem weißen Kleid wunderbar aus. Sie blieb stehen, während sich die Brautjungfern sammelten. Plötzlich fiel ihr Blick auf Anthony. Auch Mr. Mansar sah ihn jetzt und runzelte die Stirn, als Anthony auf ihn zukam.
»Ich muß Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen, Mr. Mansar.«
»Aber das ist doch jetzt unmöglich!«
»Es handelt sich um Leben und Tod! Der Mann, den Sie für Lassinger halten, ist ein Schwerverbrecher, der eigentlich Sadbury heißt!«
»Sie sind verrückt!«
»Wollen Sie nicht die Hochzeit verschieben, bis Sie meine Angaben untersucht haben? Ich kann alles beweisen, was ich gesagt habe.«
»Auf keinen Fall.« Mr. Mansar wurde rot vor Ärger.
»Komm, mein Liebling.« Aber die Braut kam nicht.
»Vater, wäre es nicht besser, wenn du dich erst vergewissern würdest?«
»Ich werde nichts Derartiges
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