053 - Der Brigant
Nebel im Schützengraben ausgehalten haben. Denken Sie immer daran, Mrs. Cranboyle! Sie können Leuten wie mir niemals Dank genug wissen.« Er schaute sie scharf an. »Wo würden Sie jetzt sein, wenn die Deutschen gesiegt hätten?«
Mrs. Cranboyle war das Schimpfen vergangen. Sie wollte ihm wieder Vorhaltungen machen, wie er sein Geld vertan habe, aber er ersparte ihr die Mühe.
»Sie haben mir eben gesagt, daß ich spiele - nun ja, ich habe im Rennen gesetzt. Das wissen Sie aber nur, weil Sie in meinen Papieren herumgestöbert haben. Ihre Neugierde wird Ihnen noch einmal böse mitspielen.«
Er schaute noch einmal zum Fenster hinaus, dann nahm er seinen Hut. Seine Wirtin konnte nichts weiter sagen; seine durchdringenden Blicke hatten sie vollständig eingeschüchtert.
»Sie können mir wenigstens noch einen Dienst erweisen, Mrs. Cranboyle. Leihen Sie mir zehn Shilling, ich werde sie Ihnen in einigen Stunden zurückzahlen.«
Nun fand sie plötzlich ihre Stimme wieder.
»Von mir bekommen Sie keinen Penny!«
»Das ist nun der Dank dafür, daß man das Vaterland verteidigt hat«, murmelte Anthony. »Solche Menschen wie Sie machen aus uns früheren Soldaten Anarchisten.«
»Wenn Sie mich bedrohen, hole ich die Polizei«, schrie sie.
Anthony ging noch einmal zum Waschtisch zurück, bürstete sein Haar sorgfältig und nahm den Hut wieder auf.
»Ich werde heute nachmittag nach meinem Koffer schicken«, sagte er einfach.
Sie schimpfte noch hinter ihm her, als er langsam die Treppe hinunterging. Er wußte, daß es nun kritisch wurde.
Es bedrückte ihn nicht, daß er mit drei Pennies in der Tasche den harten Kampf ums Dasein aufnehmen mußte. Er ging fröhlich und guter Dinge in den hellen Sonnenschein des Tages hinaus und wanderte durch die Straßen der Vorstadt, als ob er nicht die geringsten Sorgen hätte.
Im Krieg war er Leutnant einer Maschinengewehrabteilung gewesen, später Sekretär einer größeren Firma. Aber er trug dem Chef, der ihm gekündigt hatte, keinen Groll nach. Er wußte, daß alle Erwerbsquellen für ihn im Augenblick versiegt waren, und er hatte es satt, sich unter der wartenden Menschenmenge in den Arbeitsbüros herumzudrücken. Die vielen Drehorgelspieler, die mit Kreide ihre militärischen Verdienste auf Schilder geschrieben hatten, die maskierten Sänger aus der Aristokratie, die in den Höfen und Straßen der Vorstädte herumzogen und sich auf diese romantische Weise einen kargen Lebensunterhalt erwarben, die früheren Offiziere, die schöne Aquarellbilder an den Straßenecken im Westend verkauften, und die aggressiveren Leute, die Gastrollen in Banken mit dem Revolver in der Hand gaben, sie alle bewiesen zur Genüge, daß eine höhere Schulbildung und eine militärische Laufbahn nicht ausreichten, Geld zu verdienen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Anthony stieg in die nächste Straßenbahn, und als er seinen Fahrschein gelöst hatte, blieb ihm nur noch ein Penny übrig. Er war jetzt mehr als je davon überzeugt, daß seine bisherige Art zu leben keinen Zweck hatte.
Er ging in die Nationalgalerie, wo ihm früher schon immer gute Gedanken gekommen waren. Aber als er um die Mittagszeit wieder auf die Straße trat, war ihm noch nichts Neues eingefallen. Er hatte Hunger, denn er war gesund und jung und hatte zum Frühstück nur zwei harte, dünn mit Butter bestrichene Brotschnitten und eine Tasse Tee bei Mrs. Cranboyle zu sich genommen.
Ein Polizist sah ihn an der Ecke des Trafalgar Square stehen und glaubte, irgendeinen Fremden vom Lande oder aus den Kolonien vor sich zu haben, der unentschlossen schien und anscheinend nicht wußte, wohin er gehen sollte. Anthony trug stets große, graue, breitrandige Filzhüte und legte Wert auf eine gute Kleidung.
»Kann ich Ihnen irgendeine Auskunft geben?« fragte der Polizist.
»Ich möchte gern wissen, wo ich hier gut zu Mittag essen kann«, entgegnete Anthony wahrheitsgetreu.
»Sie sollten in das Pallaterium gehen. Gestern hat mir noch ein Herr gesagt, daß es das beste Lokal in London sei.«
»Danke schön«, erwiderte Anthony hebenswürdig. Es tat ihm mehr leid, daß er diesem freundlichen Mann kein reichliches Trinkgeld geben konnte, als daß er jetzt nicht einmal mehr die nötigen Mittel hatte, ein Essen zu bezahlen.
Aber trotzdem ging er in das Pallaterium, denn er hatte einen festen Glauben an sich und vertraute seinem guten Stern.
Sorglos betrat er den großen Vorraum, in dem sich viele Menschen aufhielten. Die meisten
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