Jerry Cotton - 0508 - Die Bombe tickt
Die Bombe tickte.
Das Uhrwerk lief bereits seit zwei Stunden und dreizehn Minuten. Rex Chapman hatte nur noch eine Viertelstunde zu leben.
Er versuchte sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn das Ding hochging. Er hatte die Sprengladung mehr als ausreichend dosiert. Sie würde gründliche Arbeit leisten.
Ihn erwartete eine Schrecksekunde aus brüllendem Lärm und tödlichem Schmerz. Vielleicht nicht einmal das. Er fürchtete sich nicht davor. Er dachte nur an Vivian. Sie würde aufatmen, wenn sie von seinem Tod erfuhr. Und triumphieren! Sein Ende würde sie um eine halbe Million reicher machen.
Chapman grinste. Vivian wußte nicht, daß diese halbe Million sie ruinieren würde.
Er steckte sich eine neue Zigarette an. Sie schmeckte ihm genausowenig wie die vielen anderen, die er vorher geraucht hatte. Er lag angezogen auf dem Bett seines Hotelzimmers. Nur Schuhe und Jacke hatte er ausgezogen.
Das Warten war das Schlimmste. Natürlich: war es verrückt, die Minuten bis zu seinem Ende so gräßlich langsam verrinnen zu lassen. Aber das gehörte zu seinem Plan, zu seiner wohldurchdachten Vernichtungsaktion gegen sich selbst.
Die Polizei würde nach seinem Tod Teile des Zünders finden. Sie würde feststellen, daß die Bombe länger als zwei Stunden getickt hatte. Das war wichtig. Kein Selbstmörder würde so etwas tun! Und genau das sollte die Polizei glauben. Sein Tod durfte nicht wie ein Selbstmord aussehen. Die Versicherung zahlte nicht, wenn er freiwillig aus dem Leben schied. Aber in seinem Fall mußte sie blechen! Nur dann bekam sein Tod einen Sinn.
Er hatte an alles gedacht, davon war er überzeugt. Vivian würde das Geld bekommen. Fünfhunderttausend Dollar in bar! Sie würde vor Freude Kopf stehen. Endlich konnte sie im Überfluß leben. Repräsentieren, sich jeden Wunsch erfüllen, das Geld mit vollen Händen ausgeben…
Rex Chapman war seit drei Jahren mit ihr verheiratet. In dieser Zeit hatte Vivian ihn seelisch ruiniert. Sie hatte seine Liebe mit Füßen getreten und immer nur verlangt und gefordert.
Die Bombe tickte. Chapman schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten! Im Zimmer über sich hörte er feste Sritte. Ob die Decke dem Explosionsdruck standhalten würde? Er dachte nicht weiter. Ihm blieb keine Zeit mehr, über das Schicksal anderer zu grübeln.
Nur Vivian zählte. Sie würde bald alles bekommen, was sie sich erträumt hatte. Aber was würde ihr bleiben, wenn sie ihre törichten, eitlen Wünsche befriedigt hatte? Nichts als die große Leere und die niederschmetternde Erkenntnis, daß ihr Leben ohne ihn öde geworden war!
Vielleicht würden nach seinem Tod ein paar Leute über die unglückliche Ehe tuscheln und Vermutungen anstellen. Aber das beunruhigte ihn nicht. Er schied ohne Schulden aus dieser Welt. Er hatte sogar noch runde zehntausend Dollar auf der Bank liegen. Jeder seiner Freunde und Bekannten wußte auch, daß er Vivian trotz allem sehr geliebt hatte. Nicht einmal der mißtrauischste Versicherungsdetektiv würde ein Haar in der Suppe finden.
Vivian würde begreifen lernen, daß sie ihr gemeinsames Glück durch Maßlosigkeit zerstört hatte, daß er der einzige Mann war, auf den sie…
Das Telefon schlug an.
Rex Chapman fuhr hoch. Nur jetzt keine Störung! Wer wollte ihn jetzt noch sprechen, eine halbe Stunde vor Mitternacht? Er kannte keinen Menschen in dieser Stadt. Wer also konnte es sein? Chapman spürte, daß ihm die Kleider am Leib klebten.
Wieder schrillte das Telefon.
Chapman stand auf, ging ein paar Schritte hin und her. Vielleicht war es jemand aus dem Hotel. Irgendein Idiot, der sich im Zimmer geirrt hatte.
Das Telefon gab keine Ruhe.
Plötzlich durchfuhr es ihn. Der unerwartete Anruf konnte ihm helfen! Seine Stimme mußte jetzt ganz normal klingen. Dann würde sich der Anrufer später erinnern, mit dem Opfer der Bombenexplosion gesprochen zu haben. Diese Aussage war wichtig für die Polizei. Rex Chapman nahm sich zusammen. »Hallo?« sagte er.
»Bist du es, Rex?«
Chapman verschlug es den Atem. Am anderen Ende der Leitung sprach… Vivian!
»Hallo«, sagte Rex. Jetzt klang seine Stimme rauh und heiser. Er starrte auf den kleinen Reisewecker. Noch drei Minuten bis zur Explosion!
»Wie spät ist es?« fragte Vivian.
Schweißperlen standen auf Chapmans Stirn. Was, zum Teufel, sollte diese Frage? »Eine Minute nach halb zwölf«, sagte er.
»Steht dein Fenster offen?«
»Ja, du weißt, daß ich nur bei offenem Fenster schlafe. Ich…« Er unterbrach sich.
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