0532 - Todespoker
Odinsson hatte beides nicht zurückgefordert, als er die Polizeistation wieder verließ. Die Pistole wurde ebenso untersucht wie der Revolver.
Es gab weder an der Pistole noch am Schalldämpfer Fingerabdrücke!
Abgewischt worden konnten sie nicht sein. Und Handschuhe hatte Gerret-Odinsson nicht getragen!
»Dieser verdammte Hund«, murmelte Zamorra bitter. »Der Kerl besitzt gar keine Papillarlinien an den Fingern, darauf gehe ich jede Wette ein! Er muß sie weggeätzt haben, oder jemand hat sie ihm operativ entfernt! Spencer, jetzt wird mir klar, weshalb er die Pistole bei seinem Abgang hier ›vergessen‹ hat! Es ist eine Botschaft! Nachforschungen sind zwecklos! Ihr findet nichts über mich heraus, ihr könnt mir nichts am Zeug flicken! heißt diese Nachricht, Spencer!«
»Um so ärgerlicher für Miss Duval. Ich bin nicht sicher, ob wir es schaffen, sie aus dieser Zwickmühle wieder 'rauszubekommen. Ihre Abdrücke sind nun mal an der Waffe, und ihre Aussage steht gegen die Fakten. Selbst wenn Sie versuchen, mit Ihrer Zauberei ein Bild aus der Vergangenheit zu erzeugen, wie Sie es bei Servantes getan haben, wird es niemand als Beweismittel akzeptieren.«
»Und mit der Untersuchung sind wir auch noch längst nicht fertig«, murmelte Zamorra.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Abbildungen… vielleicht klappt es damit. Die Toten werden doch autopsiert, nicht wahr? Man soll die Netzhäute der Mordopfer als Gesamtes mit einem hochauflösenden Mikroskop untersuchen und das Mikroskopbild fotografieren!«
»Was versprechen Sie sich davon?«
Zamorra lächelte.
»Beide Männer hatten die Augen offen, als wir sie fanden«, sagte er. »Sie haben ihren Mörder also gesehen - immerhin sitzen die Einschüsse jeweils in der Stirn. Manchmal, Spencer, brennt sich das zuletzt wahrgenommene Bild in die Netzhaut ein. Zwar nur schattenhaft, aber immerhin… allerdings muß der Tod dafür sehr schnell kommen, geradezu explosionsartig. Vielleicht, wenn der Feuerblitz aus der Revolvermündung nicht den Hintergrund überstrahlt hat, werden wir fündig…«
»Sie glauben doch nicht im Ernst, daß das funktioniert, und vor allem, daß es von einem Untersuchungsrichter anerkannt wird?«
»Vielleicht doch, Detective… wenn es als zusätzliches Indiz zu allen anderen kommt… denn mehr als Indizien liegen doch nicht vor, wenn wir es mal genau betrachten. Nicole könnte den Revolver ebensogut nach der Tat aufgenommen haben… oder aufgefangen, weil Gerret ihn ihr zu warf…«
»Wogegen ihre Aussage spricht, daß er ihr die Waffe in die Hand gedrückt haben soll… Aber wir wollen keine Möglichkeit auslassen, Zamorra. Pech für Odinsson vermutlich nur, daß er nicht Sie selbst als Mörder hinstellen kann…«
»Wetten, daß es seiner Rachsucht schon genügt, daß meine Gefährtin unter Verdacht steht und möglicherweise angeklagt wird? Er verfolgt eine Politik der kleinen Schritte. Rufen Sie in der Pathologie an. Man soll die Netzhäute genauestens untersuchen und Vergrößerungsfotos schießen… am besten noch durch die komplette Pupille hindurch, und am besten sehr schnell, ehe die Zellverbindungen und die Farbstoffe zu zerfallen beginnen. In ein paar Stunden kann es schon zu spät sein…«
***
In einem Punkt hatte Zamorra recht - der Rächer fühlte sich durchaus damit zufrieden, daß Zamorras Gefährtin unter Mordverdacht stand. Dadurch litt sie, und mit ihr litt Zamorra, sein Feind.
Nicole Duval war nicht zum ersten Mal Torre Gerrets Waffe gegen den verhaßten Rivalen, der ihm die Unsterblichkeit genommen hatte…
Er bedauerte, daß es ihm nicht gelungen war, diesen jungen Deutschen zu töten. Allerdings, je länger er über dessen Worte nachdachte, über die Bemerkung, zwei seien bereits tot, desto stärker wurde in ihm der Verdacht, daß er einem Mißverständnis erlegen war. Er hatte angenommen, Wolf Spengler habe ihn dabei gesehen, wie er den Spielhöllenverwalter und den Cop niederstreckte.
Vermutlich aber hatte Spengler ihn nur darauf hinweisen wollen, daß aus ihrer ursprünglichen Pokerrunde bereits Parker und Servantes tot waren; ahnungslos, wie Spengler vermutlich war.
Aber ihn zu erschießen, hätte auf keinen Fall geschadet.
Menschliches Leben zählte für Odinsson-Gerret nichts mehr, seit er seinen Traum von der Unsterblichkeit hatte aufgeben müssen. Wenn er nicht ewig leben durfte, brauchten andere ihre Lebensspanne auch nicht bis zum natürlichen Ende auszukosten. Leben oder Tod, was bedeutete es schon?
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