0534 - Der Unsichtbare
praktisch mit der Nase darauf zu stoßen, wie und wohin wir damals verschwunden sind! Denke daran, wie schnell sie unsere Sprache gelernt haben und Rückschlüsse auf Wörter und Satzkonstruktionen zogen, die sie nicht mal von uns gehört haben konnten, weil wir sie bis dahin nicht benutzt hatten… Wer schon ein solches Sprachverständnis hat, der wird auch andere Dinge rasend schnell erahnen und übernehmen können…«
»Oder auch nicht«, widersprach Nicole. »Unter Umständen beschränkt sich ihre übernormale Begabung nur auf Sprachen, und mit allen anderen Dingen können sie nichts anfangen… denn sonst hätten sie ja längst die Technik der Ewigen für sich übernehmen und sich nutzbar machen können.«
»Die brauchen sie nicht, weil sie mit ihren Para-Fähigkeiten viel besser zurecht kommen als mit der Technik… Aber warum zerbrechen wir uns jetzt über die Thars die Köpfe, mit denen wir vermutlich nie wieder etwas zu tun bekommen werden? Unser Problem ist ein Unsichtbarer, der vielleicht mit uns hierher gekommen ist und jetzt hier herumspukt, um dabei auch die Regenbogenblumen zu benutzen…«
Nicole streichelte eines der großen Blütenblätter. Die bunten Kelche, die je nach Betrachterperspektive unter der künstlichen Sonne in allen Farben des Regenbogens schillerten, waren annähernd menschengroß, und sie mußte hoch hinauf greifen, um die Blütenblätter berühren zu können. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß die Blume diese freundliche Berührung genoß und in Nicole ihrerseits ein Echo des Wohlbefindens auslöste. Ein emphatischer Kontakt, eine Rückkopplung… steckte in diesen Blumen vielleicht noch viel mehr als nur die Fähigkeit, denkende Lebewesen in Nullzeit über gigantische Entfernungen von einem Ort zum anderen zu transportieren?
»Gehen wir«, sagte Zamorra. »Bevor ich die Daten dieses Fußabdrucks wieder vergessen habe, ich möchte nicht extra ein zweites Mal hierher laufen, nur um sie mir noch einmal einzuprägen oder aufzuzeichnen.«
»Was hast du damit vor?«
Zamorra grinste.
»Unsere EDV füttern. Mal sehen, was dabei herauskommt…«
***
Während Zamorra auf dem kürzesten Weg zu seinem Arbeitszimmer weitermarschierte, bog Nicole in Richtung Swimmingpool ab. Vorbei am gutbestückten Fitneßcenter, in dem Zamorra und Nicole mehr oder weniger regelmäßig an sich arbeiteten und auch so oft wie möglich Judo, Karate und Kung-Fu trainierten, ging es hinaus in den Freizeitbereich, der sommers völlig offen war, in kälteren Tagen aber komplett überdacht und mit Glaswänden abgeschottet werden konnte, so daß man sich hier selbst bei tiefsten Minusgraden noch vergnügen konnte. Ein paar Knopfdrücke genügten, um aus dem freien Areal einen geschlossenen Glaspalast zu machen, dessen Überdachung mit Solarzellen bestückt war, um selbst aus spärlichem Wintersonnenlicht noch Strom zu machen. Und im Pool planschend, hatte man dann einen prachtvollen Ausblick auf den verschneiten »Schloßgarten«, der unmittelbar hinter der Thermoverglasung begann.
Von Raffael war im Moment nichts zu sehen, als Nicole auf die Freifläche hinaus trat. Patricia kam ihr mit Rhett auf dem Arm entgegen. Der Kleine war müde und hatte Probleme, die Augen noch offen zu halten. Oft fragte Nicole sich, welche Denkprozesse hinter der kleinen Stirn abliefen, aber sie mißbrauchte ihre telepathischen Kräfte nicht dafür, ihre Neugierde zu befriedigen.
»Raffaels Rosen welken«, sagte die Schottin unvermittelt.
Nicole stutzte. »Wie bitte?« entfuhr es ihr.
»Die schwarzen Rosen in seinem Beet. Ein paar der Rosenstöcke sind abgestorben. Da drüben.«
Nicole, die ihren Ohren nicht trauen wollte, umrundete den Pool und betrachtete verwundert das Desaster. »Was sagt Raffael dazu?« fragte sie Patricia, die ihr langsam gefolgt war.
»Er ist ziemlich geknickt. Vor allem, weil sich niemand vorstellen kann, warum diese Blumen verwelkt sind. Ausgerechnet diese, während die anderen noch blühen.«
Nicole nickte. Sie konnte sich Raffaels Niedergeschlagenheit sehr gut vorstellen. Der alte Mann hatte Spaß an der Rosenzucht, sie war praktisch seine einzige wirklich wichtige Freizeitgestaltung. Der Rest seines Lebens bestand darin, in seiner Aufgabe als Diener so gut wie möglich aufzugehen.
Sie kauerte sich nieder und tastete nach den welken Blüten. Unter der Berührung ihrer Finger zerfielen sie einfach zu einer matschigen, fauligen Masse. Unwillkürlich zuckte Nicole zurück und streifte die Finger
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