0540 - Der Vampir, die Mörderin und ich
Kerzen.
Hinter dem Altar entdeckte sie das Holzkreuz an der Wand.
Sie schrak zusammen wie ein Sprinter, wenn er den Schuß der Startkanone hört. Dann lief sie auf das Kreuz zu, erreichte es mit einem Sprung und riß es von der Wand. Wo es einmal gehangen hatte, zeichneten sich seine Umrisse heller ab.
Rena war zufrieden. Schließlich hatte sie das erste Hindernis aus dem Weg geräumt.
Sie fand noch andere Kreuze, doch an das, das von der Decke hing, kam sie nicht heran, auch dann nicht, wenn sie sprang.
Das ärgerte sie. Es war aber nichts zu machen. Rena wollte die Kreuze mitnehmen und sie irgendwo liegenlassen. Bis man sie fand, hatte sich hier in Green Heaven alles verändert.
Zweimal mußte sie gehen, bevor sie die Kreuze aus der Kirche geschafft hatte.
Das Licht im Pfarrhaus war verloschen, und die Frau fühlte sich sicher. Sie schaute noch einmal zurück. Ihr fiel auf, daß sie die Kirchentür nicht geschlossen hatte, lief leichtfüßig hin und drückte sie sehr sacht wieder zu.
Neben der Mauer lag ihre Beute. Sie wollte sich bücken, um das größte Kreuz anzuheben, als sich aus dem Schatten der Mauer eine Gestalt löste.
Eine Männerstimme fragte: »Habe ich dich, du Schänderin?«
***
Rena blieb in ihrer gebückten Haltung, als wäre sie festgefroren. Sie hatte die Stimme erkannt.
Der Pfarrer war nicht schlafengegangen, er mußte sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gesehen haben.
Soweit sie sich erinnerte, war er schon älter und stand kurz vor seiner Pension. Der dürfte im Normalfall kein Hindernis für sie sein.
Sie wußte auch nicht, ob der Pfarrer sie erkannt hatte. Das wäre nicht gut gewesen. Zeugen konnte sie nicht gebrauchen.
Da gab es nur einen Weg…
»Sie hätten im Haus bleiben sollen, Herr Pfarrer«, sagte sie flüsternd. »Wirklich; es wäre besser gewesen. So haben Sie die Konsequenzen zu tragen.«
»Nein, Lady, die müssen Sie tragen. Ich werde dafür sorgen, daß man sie einsperrt.«
Bisher hatte der Mann sie noch nicht erkannt. Sie stand gebückt, zudem fiel das rotblonde Haar vorhanggleich vor ihr Gesicht.
»Kommen Sie hoch, ich will Sie anschauen können. Ich möchte diejenige Person sehen, die es wagt, eine Kirche zu schänden. Schämen Sie sich, Lady, schämen Sie sich!«
»Natürlich können Sie mein Gesicht sehen, Herr Pfarrer, sehr gern sogar.« Rena fügte noch ein häßlich klingendes Lachen hinzu, schnellte so plötzlich in die Höhe, daß der Pfarrer erschrak. Gleichzeitig griff sie an eine bestimmte Stelle in ihrem Gürtel.
Der Pfarrer sah die Bewegungen und konnte sich keinen Reim darauf machen. Erst als die Person vor ihm ausholte und er sah, daß sie etwas in der rechten Hand hielt, wurde ihm bewußt, daß er sich in einer tödlichen Gefahr befand.
»Und es tut mir nicht einmal leid«, sagte Rena und schleuderte ihren verdammten Pfeil.
Diesmal hatte sie wegen der schlechteren Lichtverhältnisse nicht auf die Stirn gezielt. Die Brust bot ihr eine wesentlich größere Fläche. Raketenschnell raste der Pfeil auf den Pfarrer zu – und traf ihn in die Brust.
Rena sah, wie der Pfeil unter der schwarzen Jacke verschwand.
Der Geistliche taumelte zurück. Es sah so aus, als würde er es schaffen, sich auf den Beinen zu halten, dann gaben sie nach, er kippte zurück und fiel in das dicht an der Mauer wachsende Gebüsch aus Vogelbeersträuchern und Holunder.
Die Zweige dämpften seinen Aufprall ab, bevor sie sich unter seinem Gewicht zu Boden neigten.
Rena gönnte dem Geistlichen keinen Blick mehr. Sie konnte sich auf ihre Zielsicherheit verlassen.
»Idiot«, murmelte sie nur. »Wärst du mal in dein Bett gegangen.«
Dann brachte sie ihre schändliche Arbeit zu Ende…
***
Blut und Schmerzen – der Geistliche spürte beides, als er aus einem Zustand erwachte, wie er ihn noch nie erlebt hatte.
Er wußte nicht, was geschehen war. Er stellte nur fest, daß er in einem Gebüsch lag und über seinen Augen die dünnen Zweige einer Hecke wippten.
Dann erst kehrte die Erinnerung zurück und das Wissen, nicht tot zu sein, obwohl er, als er seine Brust abtastete, die klebrige Nässe des Blutes spürte.
Und auch noch andere Dinge.
Da war zunächst sein altes Holzkreuz, das er immer bei sich trug.
Er hatte dem Kreuz stets vertraut. Sein Leben war davon bestimmt worden, und jetzt hatte ihm dieses alte Kreuz das Leben tatsächlich gerettet.
Neben ihm steckte noch etwas in seiner Brust. Erst als er den Gegenstand zwischen den Fingern spürte, wußte er, womit
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