0540 - Der Vampir, die Mörderin und ich
wo die Stufen in die Höhe führten, durchbrach Helligkeit die Dunkelheit.
Nicht daß der Vampir helles Sonnenlicht geliebt hätte, er tat es für Rena.
Fackellicht warf seinen düsteren Schein über die ausgetretenen Steinstufen und wenig später in den breiten Gang hinein, wo die Rotblonde auf den Blutsauger wartete.
Er kam mit gemächlichen Bewegungen die Stufen der Treppe herab. Zunächst sah Rena nichts von ihm, weil seine Gestalt von einer staubbedeckten Mönchskutte umhüllt wurde. Sie reichte bis zum Boden und schleifte mit dem Saum darüber hinweg.
Die Kutte schwang bei jedem Schritt. Sie nahm an Breite zu, der Schein der Fackel umtanzte sie und zauberte Licht und Schatten auf den staubgrauen Stoff.
Zum oberen Ende hin verengte sie sich wieder und mündete in eine spitzmützige Kapuze, unter der das alte, graue und furchige Gesicht des Vampir-Mönchs verborgen war.
Eine fürchterliche Fratze, umrahmt von Haaren, die wie Glasfäden wirkten.
Der Vampir liebte den Moder, die Gruft und das Blut. So sah er auch aus. Dabei strömte er einen Gestank aus, der bei einem normalen Menschen Widerwillen erzeugte, Rena jedoch egal war. Sie akzeptierte den Blutsauger, wie er war.
Wenn seine Pläne in Erfüllung gingen, konnte sie davon nur profitieren.
Er hatte die Treppe verlassen und den Gang betreten. Langsam kam er näher. Das Gestalt gewordene Grauen, eine düstere Horrorgestalt, wie es sie sonst nur in alten Schriften gab.
Bei jedem Schritt schlurfte er über den Boden. Seine Sohlen hinterließen die schleifenden Geräusche, und der Staub wallte in kleinen Wolken auf, wobei er noch träge in den Schein des Fackellichts zog.
Horatio Rubicus hielt die Fackel in der rechten Hand und dabei den Arm vom Körper gestreckt. Das Licht glitt über die Säulen hinweg, als wollte es sie liebkosen. Es berührte auch die Wände, erreichte ebenfalls den Stein, auf dem Rena stand, und riß einen eisernen sechsarmigen Kerzenleuchter aus der Finsternis.
Die Wachskerzen sahen aus wie glatte Totenfinger: Schwarz lugten die angebrannten Dochte aus dem Rand hervor. Rubicus zündete bei seinen Besuchen stets die Kerzen an, diesmal jedoch ließ er es bleiben.
Dafür hob er den Arm an, damit der Widerschein in sein Gesicht leuchtete.
Beim ersten Mal, als Rena ihn gesehen hatte, war sie zu Tode erschreckt gewesen. Nun war ihr der Anblick schon so vertraut, daß sie kaum noch hinschaute.
Es war kein Gesicht, es war eine Fratze.
Abgesehen von der alten, grauen Haut besaß der Blutsauger auch nur noch ein Auge. Das linke war ihm irgendwann einmal auf gewaltsame Art und Weise entfernt worden. Wo es eigentlich hätte sein müssen, war die Stelle zugewachsen. Dort lag die Haut wie ein dicker, faltiger Teigklumpen.
Auch die Lippen hoben sich kaum von der übrigen Gesichtsfarbe ab. Sie waren fast ebenso grau wie die übrige Haut, nur die Oberlippe war etwas zurückgezogen, um die beiden spitzen Vampirzähne freizugeben.
Es gab bei den Blutsaugern unterschiedliche Gebisse. Diese Hauer erinnerten an winzige Elefanten-Stoßzähne. Sie waren relativ dünn und zudem leicht gebogen, allerdings nach innen, nicht nach außen wie bei den Dickhäutern.
Der Vergleich mit dünnen, spitzen Säbelklingen hätte auch zutreffen können.
Rena Peel konnte ihren Blick nicht von den Zähnen nehmen. Ein Schauer überkam sie, als sie daran dachte, wie diese Spitzen so seidenweich über ihre Haut gestrichen waren.
Sie hatte es als eine Wohltat empfunden. Und auch gegen das Gefühl der Erotik hatte sie sich nicht wehren können. Irgendwie war sie schon anders geartet als die übrigen Menschen.
Der Vampir stellte die Fackel ab. Er klemmte sie noch in eine Lücke zwischen die Arme des Leuchters, bevor er diesen ein Stück zurückschob, damit das Feuer nicht die Kleidung der rotblonden Frau ergriff.
»Die vierte Morgenstunde ist angebrochen«, nuschelte der Blutsauger. »Noch liegt alles im tiefen Schlaf. Deshalb ist deine Zeit auch gekommen, Rena. Du wirst jetzt deinen Auftrag ausführen, und danach wirst du nie mehr deine Fesseln spüren. Nach der dritten Tat bin ich mir deiner sicher. Wir werden gemeinsam bleiben oder gemeinsam untergehen. Hast du das begriffen, Rena?«
»Ja!« Um die Antwort zu unterstreichen, fügte sie noch ein heftiges Nicken hinzu.
Der Blutsauger lächelte schief. Dann stieg er ebenfalls auf die Steinplatte und machte sich an den Eisenklammern zu schaffen, die um Renas Gelenke gespannt waren.
Er öffnete eine Spange und zog
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