057 - Die Tochter des Werwolfs
Ketten würden sicher auch diesmal halten.
»Bernd«, sagte Sullivan mit beschwörender Stimme. »Erkennst du mich nicht? Ich bin es, dein alter Freund Trevor Sullivan. Du hast mir vor langer Zeit einen Brief geschrieben.«
Das Toben des Werwolfs hörte auf. Er legte den Kopf schräg, als verstehe er Trevor Sullivan.
»Sullivan?«, fragte er guttural. »Du, mein Freund?«
»Ja. Ich bin zu dir gekommen, nach all den Jahren.«
Der Werwolf wurde nun zu einem nackten Mann. Bernd Sommer hatte eine Vorrichtung konstruiert, die verhinderte, dass ihm die Ketten von den Wolfsläufen rutschten. Sie hielten jetzt seine Arme, zwei Ketten lagen um seine Brust und eine Halsschelle um seinen Hals.
Sullivan sah, dass Bernd Sommer sehr alt geworden war und sich verändert hatte. Sein Haar war ergraut, er hatte unzählige Falten im Gesicht.
»Trevor Sullivan«, sagte er mit menschlicher Stimme. »Es freut mich, dass du gekommen bist. Mach mich los, wir wollen etwas trinken und über die alten Zeiten reden.«
»Vorsicht, er verstellt sich«, flüsterte Gisela Sommer. »Man kann ihm nicht trauen, wenn er in diesem Zustand ist.«
Die Warnung wäre nicht nötig gewesen. Sullivan sah den diabolischen Schimmer in den Augen des Mannes. Er trat vorsichtig näher.
»Ich mache dich nicht los«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Wer weiß, was du trinken willst.«
»Dein Blut«, brüllte der Werwolfmann und warf sich gegen die Ketten.
Er geiferte, tobte und fluchte, beschimpfte Trevor Sullivan und seine Frau unflätig und drohte, sie zu zerreißen. Er wurde nun wieder zur schwarz behaarten Werwolfkreatur, zu einer bestialischen Kreuzung zwischen Mensch und Wolf.
Sullivan sah, dass mit Sommer in diesem Zustand nicht zu reden war. Als er zur Tür ging, warf er noch einen letzten Blick auf den Werwolf.
»Sullivan!«, grollte die Schreckenskreatur mit kaum verständlicher Stimme. »Du dreckiger Schweinehund, ich zerreiße dich und diese elende Hure da. Arrgghhh, aarrrrr!«
Ein bestialisches Heulen folgte, schaurig anzuhören. Sullivan lief es kalt über den Rücken. Er ging eilig aus dem Keller.
Gisela Sommer folgte ihm und schloss hinter ihm ab. Im Wohnzimmer setzte sich Sullivan auf die Couch und überlegte, was nun zu tun sei.
»Sie haben Bernd gesehen. Was nun?«, fragte Gisela Sommer.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Sullivan. »Er hat Fürchterliches durchgemacht. Er hat sich aus ganzer Kraft gegen den Fluch der Lykanthropie gestemmt. Fast hätte er es geschafft, mit Ihrer Hilfe. Das Schicksal hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für Sie muss dieses Leben eine Hölle sein.«
Ein schwaches Lächeln spielte um Giselas Lippen.
»Ich liebe ihn eben, immer noch. Wollen Sie ihn töten?«
»Er hat schwere Schuld auf sich geladen, und er ist eine Gefahr. Nein, ich kann es nicht, bevor ich nicht weiß, ob es nicht doch einen Ausweg gibt. Ich will mit Dorian Hunter reden, er muss herkommen. Vielleicht kennt er oder Coco Zamis ein Mittel, Bernd in einen normalen Menschen zurückzuverwandeln. Vielleicht kann man den Fluch des Werwolfdaseins von ihm nehmen, durch eine Beschwörung oder einen magischen Trank.«
»Haben Sie schon einmal von einem solchen Mittel gehört?«
»Nein, aber man muss alles versuchen.«
Trevor Sullivan ging zum Telefon und wählte die Nummer des Airport-Hotels. Die Zentrale verband ihn mit Dorian Hunters Zimmer.
Dorian legte den Hörer auf, gerade hatte er von Trevor Sullivan die letzten Einzelheiten erfahren. Er erstattete Coco Bericht.
Sie fragte: »Was wird nun geschehen?«
»Der Werwolf Jürgen Henicke wird alles daransetzen, sich an Bernd Sommer zu rächen. Rachgier ist eine bei Lykanthropen sehr stark ausgeprägte Eigenschaft. Wir müssen uns mit Thomas Becker und mit der Kriminalpolizei in Verbindung setzen.«
Delila lebte zu diesem Zeitpunkt noch. Der Werwolf verbarg sich mit ihr in der Villa in der Nähe des Südfriedhofs.
»Gibt es ein Mittel, den Fluch der Lykanthropie von einem Menschen zu nehmen?«, fragte Dorian Coco.
Sie schüttelte den Kopf. »Unmöglich – einmal ein Werwolf, immer ein Werwolf.«
»Armer Bernd Sommer, arme Frau.«
»Was soll mit ihm geschehen?«
»Nichts vorerst, er ist gut aufgehoben. Wir fahren morgen in den Taunus. Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass der Henicke-Werwolf nicht in das Haus der Sommers einbricht und ein Blutbad anrichtet. Ich werde Trevor Sullivan noch einmal anrufen, nachdem ich mit Becker gesprochen habe, und ihm sagen,
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