057 - Die Tochter des Werwolfs
sie für die Bahamas brauchte.
»Die Petra ist reif, wenn wir aus dem Urlaub zurückkommen«, sagte Henicke an diesem Abend zu einer seiner Barfrauen. »Ich habe jetzt lange genug mit ihr herumgespielt, ich habe schon etwas anderes ins Auge gefasst. Diese junge Mulattin, die sich eine Musikkarriere in den Kopf gesetzt hat.«
»Ah ja«, erwiderte die Bardame. »Meinst du, sie wartet vier Wochen auf dich?«
»Ich möchte keinem raten, King Jürgen ins Gehege zu kommen. Träller-Maxe hat ein Auge auf sie.«
Die Zeit auf den Bahamas war traumhaft schön. Umso schlimmer war das Erwachen. Vom Flughafen fuhr Henicke Petra in ein Apartment am Rande der City.
»So«, sagte er. »Du hast mir lange genug auf der Tasche gelegen. Jetzt wird gearbeitet, in meiner Branche, damit wir uns verstehen. Die Grundbegriffe machen wir dir gleich klar.«
Petra Sommer musste Schläge, Brutalitäten und unglaubliche Demütigungen hinnehmen – von Henicke und seinen Zuhälterfreunden. Ihr Wille wurde systematisch gebrochen, und bald war es ihr gleichgültig, wer sie nahm.
Henicke brachte Petra in einem Haus unter, in dem auch andere Frauen arbeiteten. Sie war ständig unter Kontrolle. Wenn sie einen Kunden nicht zufrieden stellte, wie Henicke es wünschte, wurde sie so hart bestraft, dass sie bald Henickes Willen in jeder Hinsicht erfüllte.
Petra machte Fortschritte, so sah er es, und sie war einer seiner »Verkaufsschlager«. Er wollte sie groß ins Geschäft bringen, mietete ein Einzel-Apartment für sie und schickte ihr Vorzugskunden, Leute mit viel Geld, allerdings auch mit ausgefallenen Ansprüchen.
Petra spielte anscheinend mit. Henicke ließ die Zügel lockerer. Da rief sie bei einem Einkaufsbummel durch die Stadt die Polizei an.
Wenig später traf sie sich mit einem Polizeibeamten in Zivil. Sie wollte Henicke auffliegen lassen und sich aus den Kreisen lösen, in die sie hineingeraten war.
Es war Petras Fehler, dass sie nicht darauf bestand, sofort in Schutzhaft genommen zu werden, sondern noch eine Zeit lang ihrer Freudenmädchentätigkeit nachgehen und Informationen an die Polizei liefern wollte. Henicke hatte sie beschatten lassen. Das Gespräch mit dem Polizeibeamten war beobachtet worden.
Als Petra in ihre Wohnung zurückkam, ließ Henicke sie von Träller-Maxe abholen. In einer Wohnung, die Henicke unter einem anderen Namen gemietet hatte, holte er die Wahrheit aus ihr heraus. Anschließend wurde Petra zusammengeschlagen und in der Nacht als wimmerndes Bündel weggefahren.
Drei Tage später wurde sie als Leiche mit zerschnittenem Gesicht auf einer Müllkippe gefunden, eine Kugel im Kopf.
Henicke war nichts zu beweisen.
Er behauptete, er hätte sich schon lange vor dem Mord mit Petra gestritten, sie hätte für einen französischen Zuhälter gearbeitet. Dieser Franzose, der nach Ansicht der Kriminalpolizei nie existiert hatte, wurde natürlich nie gefunden.
Der Fall konnte nicht geklärt werden. Selbstverständlich hatte Jürgen Henicke ein felsenfestes Alibi.
Der Zuhälter triumphierte.
»Petras Tod war ein furchtbarer Schlag für meinen Mann«, fuhr Gisela Sommer mit ihrer Erzählung fort. »Bernd hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass Petra doch noch zur Vernunft kommen und sich von Henicke lösen würde. Er machte sich die größten Vorwürfe, er gab sich die Schuld. Er sagte, er hätte Petra bei dem Streit damals in Henickes Arme getrieben.«
Trevor Sullivan schwieg. Er war nie verheiratet gewesen und hatte auch keine Kinder. Er konnte trotzdem verstehen, was in Bernd und Gisela Sommer vorgegangen sein musste.
»Die Kripo hatte Bernd informiert«, fuhr Gisela fort. »Er wusste, wer Petra auf dem Gewissen hatte und dass dem Mörder nichts nachzuweisen war. Immer mehr fraß sich in ihm der Gedanke an Rache fest, an die furchtbare Rache eines Werwolfs. Ich bin seit Jahrzehnten mit Bernd verheiratet. Trotzdem ist er mir in manchen Dingen immer noch ein Fremder.«
»Das geht wohl den meisten Ehepaaren so.«
»Er fuhr ein paar Mal mit dem Wagen nach Frankfurt und suchte dort Unterweltkreise auf. Ich wollte ihn davon abhalten. Ich nahm an, er wolle einen Killer engagieren und Henicke umbringen lassen. Aber er ließ sich nichts sagen. Acht Wochen nach dem Tod unserer Tochter ließ er sich bei Vollmond nicht anketten und verschwand vorher. Ich war außer mir vor Angst und Sorge. An die Polizei konnte ich mich nicht wenden, ich konnte nicht einmal mit jemandem über die Sache reden. Ich war überzeugt, dass
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