057 - Die Tochter des Werwolfs
hören Sie, was für ein hirnverbrannter Blödsinn bei diesen Latrinenparolen herauskommt. Bernd Sommer ist einer der wenigen, die es unmöglich gewesen sein können. Er hat immer in einer verschlossenen Zelle gesessen, wenn im Lager einer umkam.«
»Wenn Sie meinen, Captain.«
Die Soldaten gingen weiter. Trevor Sullivan fühlte sich von dem Bunker angezogen, der ein Stück von den Lagerbaracken entfernt in einen Hügel hineingebaut war. Das Kriegsgefangenenlager hatte, bevor es die Briten übernahmen, als Arbeitsdienstlager gedient.
Der junge Captain näherte sich dem Bunker. Im Mondlicht konnte er das Gras und die Büsche auf dem Hügel deutlich erkennen. Der Eingang lag in tiefem Dunkel.
Als er vor der schweren, stählernen Bunkertür stand, erscholl ein furchtbares Heulen. Es schien aus den Eingeweiden der Erde zu kommen. Schläge dröhnten gegen die Tür.
Aber die Bunkertür war zehn Zentimeter dick, die Betonwände über einen Meter. Kein Mensch konnte daraus entkommen.
Das Heulen dauerte an.
Trevor Sullivan setzte die Pfeife an den Mund und pfiff schrill. Sofort schwenkten Scheinwerferfinger herum und erfassten ihn. Er winkte, zwei Patrouillen kamen herbei.
»Was gibt es, Captain Sullivan?«
»Ich will diesem Geheul endlich auf den Grund gehen. Holen Sie die Schlüssel und bringen Sie zwei Männer mit. Vier Mann gehen mit mir hinein, zwei bleiben draußen bei den Hunden.«
Die Schäferhunde winselten leise, klemmten die Schwänze ein und wollten vom Bunker weg. Aber die Soldaten hielten sie fest.
Kurz darauf war der Mann, den Sullivan losgeschickt hatte, mit zwei anderen wieder da. Trevor Sullivan machte sich Sorgen um Bernd Sommer. Er fragte sich, was die Russen mit ihm gemacht hatten, dass er diese schrecklichen Anfälle bekam. Es war immer das Gleiche. Erst machte er irgendeinen Blödsinn, und im Bunker tobte er.
Bisher hatte er es noch immer geschafft, in den Bunker zu kommen. Das war also Absicht. Sullivan nahm an, dass Sommer sich schämte, in dem Zustand gesehen zu werden, in dem er während der Anfälle war.
Dr. Smith-Bellow, der Lagerarzt, hatte ihm vor Monaten eine Spritze geben wollen, als er im Bunker einen Anfall bekam. Sommer hatte ihn brüllend, tobend und geifernd hinausgejagt und ihn so unflätig beschimpft, dass der Arzt sich seitdem nicht mehr um ihn kümmerte.
»Wir sollten da besser nicht reingehen, Captain«, sagte der ältere Corporal.
»Wenn Sie sich fürchten, Nigel, können Sie draußen bleiben. Wir sind fünf Bewaffnete, und wir haben nur einen waffenlosen Mann gegen uns. Macht mich nicht ärgerlich, Leute. Ich habe schon genug Scherereien mit den Kriegsverbrechern hier im Lager und mit den drei Toten, die während der letzten Monate mit zerrissener Kehle und verstümmelt aufgefunden wurden.«
Ein Soldat schloss die schwere äußere Bunkertür auf. Sullivan schaltete die Beleuchtung ein. Die zweite Tür wurde geöffnet, die Soldaten hielten die halbautomatischen Karabiner schussbereit. Wieder erscholl das Heulen, viel lauter und näher jetzt.
Ohne Zweifel kam es aus dem Bunker. Der Schlüssel klirrte im Schloss. Knarrend schwang die schwere Tür auf.
Der große Bunkerraum war kahl und kalt. Die Heizungs- und Lufterneuerungsanlagen in der abgeteilten Kammer nebenan waren demontiert worden, nackte Glühbirnen brannten an der Decke. Eine Pritsche stand in der Ecke, zusammengeknüllte Decken lagen darauf.
Die Luft im Bunker war kühl wie in einer Gruft, sie roch muffig, war aber nicht sehr abgestanden, denn es gab einen Luftschacht.
In der Kreatur, die sich am Boden wälzte, erkannte Sullivan Bernd Sommer kaum wieder. Aus seiner Kehle kam das Heulen, das schaurig von den Bunkerwänden widerhallte. Er schlug den Kopf auf den nackten Betonboden. Sein Gesicht war unmenschlich verzerrt, fast sah es aus, als sei es behaart.
Sullivan stürzte zu ihm.
»Sommer, um Gottes willen, was ist los?«
Bernd Sommer stöhnte qualvoll. Aus der Nähe konnte Sullivan sehen, dass sein Gesicht keineswegs eine Behaarung aufwies. Die Beleuchtung musste Sullivan getäuscht haben. Die Soldaten kamen näher, die Karabiner auf den am Boden liegenden Mann gerichtet.
»Gehen Sie!«, stöhnte Bernd Sommer. »Schnell; gehen Sie, ich muss allein sein. Ich will nicht, dass man mich so sieht.«
»Sagen Sie mir erst, was mit Ihnen ist!«
Sommer biss die Zähne zusammen, dass es knirschte.
»Weiß nicht …« Sein Atem ging stoßweise, er zitterte am ganzen Körper. »In Sibirien, in einem
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