057 - Sanatorium der Cyborgs
Stiefeln und Handschuhen bekleidet ließ sie sich in den Sessel hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus Eichenholz fallen und legte die Beine hoch. Ruttger wandte sich angesichts des Einblicks, den sie ihm dabei bot, nicht schamhaft ab. Er war seiner Herrin schon oft zu Diensten gewesen, in der einen oder anderen Beziehung.
»Wir hätten ihn trotzdem trotzdem deaktivieren sollen«, gab er zu bedenken. »Wenn nur einige renitente Daten die die Löschung überstanden haben…«
»Aber Ruttger!«, tadelte ihn Daryll mit einem Lächeln. »Du missachtest das Motto unserer Anstalt: Jedem Leben eine Chance. Außerdem hat noch keiner ein zweites Mal die Flucht gewagt. Ganz abgesehen davon, dass Newt dazu einen intakten Körper brauchte.«
Sie lachte. »Diese Bestien da draußen haben wirklich ganze Arbeit geleistet!« Sie schwang die Füße vom Tisch und stand auf. »Nein, Ruttger, es läuft alles perfekt. Die perfekte Gesellschaft mit einer perfekten Ordnung unter einer perfekten Leiterin.«
Nicht zum ersten Mal war Ruttger irritiert. Das klang, als ob sie es wirklich ernst meinte.
Dabei konnte von Perfektion angesichts der fehlerhaften LoBots doch nun wirklich keine Rede sein. Aber er hütete sich davor, Daryll zu widersprechen. Einmal hatte er es gewagt. Das Resultat hatte ihn mehrere Wochen Regeneration gekostet.
Sie durchschritt das Büro, vorbei an dem zerschnittenen Ledersofa, einem Holzschrank, der rostigen Stehlampe und über einen mottenzerfressenen Läufer hin zu dem altmodischen Sekretär - alles Möbelstücke, die sie aus den Ruinen Fresnos gerettet hatten. Vor dem Büromöbel blieb sie stehen, stützte sich mit beiden Händen auf und wandte Ruttger ihre reizvolle Kehrseite zu.
»Nein, Ruttger«, hörte er sie sagen, »seit damals ist alles perfekt.«
So blieb sie stehen.
Der Cyborg wartete eine Minute, dann trat er zur Seite, um zu sehen, was genau sie tat.
Nichts.
Offenbar war Daryll ganz in den Anblick des Gegenstands versunken, der vor ihr im Sekretär stand. Ein Glaszylinder mit je einer magnetischen Basis an beiden Enden, zwischen denen ein Chip schwebte und sich träge drehte…
... und dreht und dreht und nur langsam zur Ruhe kommt. Sie schlägt die Augen auf.
Schmerz in ihrem Kopf, eine Sekunde nur. Der Mann, der neben ihrem Lager steht, schaut sie an und sagt: »Ah.« Mehr nicht.
Sie spürt einen Druck in ihrem Nacken. Der Mann greift hin, löst die Verbindung und streicht ihr Haar über den offenen Port.
Sie ist verwirrt. Sie erinnert sich an ein Leben vor diesem, aber es scheint nur ein schwaches Echo der Wirklichkeit zu sein.
»Alles in Ordnung«, sagt der Mann neben ihr. »Deine Neuprogrammierung ist abgeschlossen. Bitte bestätige.«
Sie hat nicht gewusst, dass sie reden kann. Daher hat ihr »Bestätige!« einen erstaunten Tonfall.
Der Mann rollt ein Kabel ein, dann sagt er: »Setz dich auf.« Sie gehorcht. Allmählich ordnen sich ihre Gedanken, laufen auf Leiterbahnen in dem Massenspeicher zusammen, der einst ihr Gehirn war, und bündeln sich dort zu Informationsketten.
»Ich bin Daryll«, stellt sie fest. »Was ist mit mir geschehen?«
»Du hattest einen Unfall«, sagt der Mann, den sie zu kennen glaubt, doch sein Name kommt noch nicht an die Oberfläche der Datenflut. »Ein Gleiterabsturz durch Fremdeinwirkung. Deine Beine wurden zerquetscht und dein organisches Gehirn irreparabel beschädigt.«
Sie schaut auf ihre Beine, doch die sind makellos. Er bemerkt ihre Verwirrung. »Ich habe dich repariert. Deine Beine sind jetzt künstlich, so wie vorher schon Brustkorb und Arme. Dein Gehirn habe ich durch einen Massenspeicher ersetzt und deine Persönlichkeitsfragmente, so weit sie intakt waren, auf einen P-Chip übertragen. Eigentlich solltest du… ausgemustert werden.« Sein kurzes Zögern entgeht ihr nicht. »Doch ich brauche dich noch.«
Sie forscht in ihren Gedanken und findet seine Aussagen bestätigt. Sie war Pilotin für ihren Herrn Miki Takeo. Aber die Zuordnung wurde verändert. Sie ist jetzt gebunden an…
Sein Name ist Haank; sie erinnert sich jetzt.
»Du wirst in meinem Auftrag nach Norden gehen, zu einer Stadt namens Fresno«,sagt Haank. »Die Koordinaten findest du unter der Datei ›Sanatorium‹ in deinem Speicher. Dort richtest du dich ein und schaffst Platz für weitere Lo-« Er stockt, verbessert sich: »… für weitere künstliche Menschen, die ich zu dir schicken werde. Es sind Verstoßene wie du. Dein ehemaliger Herr hat sie ausgemustert. Aber ich will
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