0571 - Die Legende vom grauen Riesen
Streifen und verschwand im Ausguß. Der Wirt stand neben mir am Waschbecken. »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wer Ihnen dieses makabre Geschenk gemacht haben könnte?«
»Nein!«
»Haben Sie denn Feinde?«
Ich griff zu einem blauen Handtuch. Es hing neben dem Waschbecken. »Wer hat die nicht?«
»Das stimmt schon. So etwas erinnert mich an die Mafia, wissen Sie. Solche Methoden sind…«
»Hatten Sie schon Besuch von der Ehrenwerten Gesellschaft?«
»Nein, zum Glück nicht. Aber ich rechne damit, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Dann sagen Sie uns Bescheid.«
»Bewahre, ich…«
»Wir sind von Scotland Yard.«
Der Wirt trat zurück. Sein gewaltiger Schnauzbart zitterte plötzlich. »Da… da habe ich ja etwas gesagt«, stotterte er. »Vergessen Sie es lieber, bitte.«
»Schon erledigt.« Ich begann damit, das Packpapier zu lösen. Der Besitzer zog sich sicherheitshalber bis an die Tür zurück. Er scheuerte seine Handflächen an der Schürze sauber.
Ich hatte das wasserabstoßende Papier mittlerweile entfernt und wunderte mich kaum noch, als eine normale Kassette zum Vorschein kam. Da wollte mir jemand seine ganz persönlichen Glückwünsche auf diese außergewöhnliche und makabre Art und Weise übermitteln. Vorhin war der Begriff Mafia gefallen. So wie man mir die Grüße übermittelt hatte, konnte durchaus die Mafia dahinterstecken. An der Spitze stand Logan Costello, einer meiner härtesten Feinde.
»Haben Sie einen Recorder greifbar?« fragte ich.
Er nickte. »Ja, einen kleinen.«
»Darf ich ihn mir ausleihen?«
»Sicher, ich hole ihn.«
An der Theke wartete ich und beruhigte meine Freunde durch die entsprechenden Handbewegungen. Mit dem Recorder, der über Batterie lief, trat ich wieder an den Tisch und nahm Platz.
»Wer schickt dir denn eine Kassette?« fragte Bill.
»Das werden wir gleich wissen.« Ich legte sie ein.
Inzwischen war auch den anderen Gästen unser ungewöhnliches Benehmen aufgefallen. Sie starrten zu unserem Tisch rüber und warteten darauf, daß sich etwas tat.
Ich drückte die Abspieltaste. Es wurde spannend. Auch meine Freunde saßen wie auf dem Sprung.
Zunächst hörten wir so gut wie nichts. Nur ein leises Rauschen drang aus dem Lautsprecher. Ein Knacken folgte, dann ein Geräusch, als würde jemand husten.
Plötzlich, beinahe schon unerwartet, hörten wir alle die leise, aber dennoch gut zu verstehende Stimme.
»Herzlichen Glückwunsch, John! Ich hoffe, meine Grüße haben dich zu deinem Fest erreicht. Ich wünsche dir ein Jahr voller Angst und Furcht. Du wirst es haben, glaub mir. Ich sage nur noch eines. Hüte dich vor Dracula! In diesem Sinne, John, bis bald…«
Ich stellte das Gerät aus.
Wir schauten uns an. Bleich, geschockt. Dann nickte ich und fragte leise in das Schweigen hinein. »Wißt ihr, wer da gesprochen hat?«
»Natürlich«, erwiderte Suko. »Will Mallmann…«
***
In den folgenden Sekunden sprach keiner von uns ein Wort. Ich hätte heulen und toben können, so stark war mir diese Nachricht unter die Haut gegangen.
Es fehlte mir zwar noch immer der Beweis, daß Kommissar Mallmann zu einem Vampir gemacht worden war, aber in diesen schrecklichen Augenblicken nahm ich die Kassette als sein Alibi für diese Verwandlung entgegen.
Sir James räusperte sich. Er unterbrach damit das Schweigen. »Ich bin der Meinung, daß Kommissar Mallmann nicht geblufft hat. Und ich rechne auch damit, daß wir ihn unter Umständen sehr bald hier in London wiedersehen. Oder?«
Keiner von uns widersprach. Wir alle waren der Ansicht, daß sich Will bereits in London aufhielt.
»Hüte dich vor Dracula«, wiederholte Bill. »Darf ich fragen, was der Satz bedeutet?«
»Ich weiß es auch nicht genau, Bill. Er hängt jedenfalls mit der Aktion zusammen. Aktion Dracula. Vampire haben sich meiner Ansicht nach zusammengeschlossen, um zuschlagen zu können. Eine andere Möglichkeit sehe ich momentan nicht.«
»Und Mallmann an der Spitze?«
»Das ist die Frage.«
Bill fuhr durch sein Haar. »Wenn ich ehrlich sein soll, paßt mir das überhaupt nicht. Stellt euch mal vor, einer von uns begegnet ihm. Dann wären wir gezwungen, ihn zu vernichten, weil er eben ein Vampir ist und eine Gefahr für die Menschheit darstellt.«
»So ist es«, sagte Suko.
»Könntest du das denn?«
»Weiß ich nicht.«
»Und du, John?«
Ich winkte ab. »Daran möchte ich jetzt nicht denken. Ich wäre jedoch gezwungen, meine Pflicht zu tun. Und das würde mir verdammt an die Nerven
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