0571 - Die Legende vom grauen Riesen
warf einen Bleistift hoch und fing ihn wieder auf. »Willst du denn hin?«
»Könnte nicht schaden.«
»Ich bleibe hier.«
»Meinetwegen. Wenn sich Will meldet, sag Bescheid.«
Er lachte. »Du denkst auch nur an das eine, wie?«
»In der letzten Zeit bestimmt.« Ich hatte mir das Branchenbuch geschnappt und suchte nach diesem Reisebüro oder der Firma. Island Tours fand ich sehr schnell. Die Buchstaben waren fett gedruckt und noch extra umrandet worden.
Ich rief an, bekam direkt Verbindung und hörte eine frisch klingende Frauenstimme, die Fröhlichkeit auch an einem Montag versprühte. »Island Tours. Guten Tag, Sir, was kann ich für Sie tun?«
»Mir eine Auskunft geben.«
Das Mädchen lachte. »Gern, wenn möglich.«
»Ich hätte mich mal über Ihr Programm…«
»Am Telefon, Sir?«
»Nicht unbedingt.«
»Dann kommen Sie doch vorbei, Sir. Wir können bei uns alles besser bereden. Die Buchungen laufen computergesteuert. Auf dem Monitor lesen wir sofort ab, ob noch freie Plätze bei gewissen Objekten sind, Sir.«
»Ja, ich werde mich dann in Bewegung setzen. Ach noch etwas. Welche Inseln fahren Sie denn eigentlich an?«
»Oh, einige.«
»Zählen dazu auch Grönland, Borneo, Aus…«
»Nein, Sir, nein. Wir haben uns auf die kleinen, fast noch unentdeckten Inseln beschränkt, die im Atlantik rund um unser Land verstreut liegen.«
»Ah, so ist das. Es sind also keine weiten Reisen.«
»Die längste dauert eine Woche. Die kürzeste einen Tag.«
»Schön, ich werde dann zu Ihnen kommen.«
»Danke, ich freue mich darauf, Sir.«
»Na?« fragte Suko. »Was hat die Maus gesagt?«
»Nicht viel. Sie freut sich darauf, mich zu sehen.«
Suko verzog das Gesicht. »Hoffentlich ist sie nicht enttäuscht, wenn du vor ihr stehst.«
»Keine Sorge, deshalb lasse ich dich ja zu Hause.«
Er drohte hinter mir her. »Wenn du so weitermachst, klaue ich dir noch deine neue Mikrowelle.«
»Da paßt du doch gar nicht rein.«
Ich zischte ab, bevor Suko nach irgendwelchen Wurfgeschossen greifen konnte.
»Du hast es aber eilig«, sagte Glenda.
»Und wie. Ich will auch verreisen.«
»Ach. Wohin denn?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Erst als ich die Tür geschlossen hatte, sprang Glenda auf und lief zu Suko. Schließlich wollte sie wissen, was los war…
***
Angst vor der nächsten Nacht!
Lucy Freeman kannte dieses Gefühl. Sie hatte vergeblich versucht, dagegen anzukämpfen, es war ihr nicht gelungen. Immer wieder fürchtete sie sich vor der Dunkelheit. Wenn die sich über die Stadt legte, schaltete sie sämtliche Lampen in ihrer kleinen Wohnung ein.
Nur so fühlte sie sich halbwegs sicherer.
Die Angst aber blieb.
An diesem Sonntag war sie nicht aus der Wohnung gegangen. Das würde erst am nächsten Tag geschehen, und zwar mit gepackten Koffern, denn Lucy hatte sich dazu entschlossen, eine Insel-Tour zu machen.
Das Wetter war günstig. Kein Sturm zerpflügte die Wellen auf dem Kanal, die Fahrt würde relativ ruhig werden.
Es hatte sie eine große Überwindung gekostet, diesen Entschluß zu fassen, doch sie sah einfach keine andere Möglichkeit. Um diesen schrecklichen Alptraum verscheuchen zu können, hatte sie allen Mut zusammengerafft und wollte ihm entgegengehen. Dr. Ward hatte ihr dazu nicht geraten. Lucy Freeman hatte ein Buch gekauft und sich dort kundig gemacht. Der Verfasser riet den alptraumgeplagten Lesern, sich den Dingen zu stellen. Nichts anderes hatte Lucy vor.
Sie wußte auch genau, wo sie hinfahren würde. Zur Insel des grauen Riesen.
Dr. Ward hatte sie davon nichts erzählt. Durch Zufall war sie darauf gekommen oder nicht? Jedenfalls hatte sie bei einem Spaziergang im Schaufenster eines Reiseveranstalters ein Plakat gesehen, das auf die Insel der Riesen hinwies. Sie lag nicht einmal weit entfernt, zwischen England und Frankreich.
Vor langer Zeit war sie eine Hochburg der keltischen Kultur gewesen, dann aber in Vergessenheit geraten.
Von einem Riesen hatte sie stets geträumt…
Der Sonntag wollte nicht verstreichen. Die Stunden zogen sich lang hin, die Dunkelheit war gekommen, mit ihr der Abend, dann die Nacht. Selbst das TV-Programm konnte Lucy nicht von ihren Sorgen ablenken. Je später es wurde, um so mehr verdichtete sich bei ihr das Gefühl, nicht mehr allein in der Wohnung zu sein. Sie kam sich vor wie eine Person, die von einer anderen beobachtet wurde.
Aber sie hatte niemanden entdecken können. Mehrmals hatte sie die Wohnung durchsucht und sich selbst eine Spinnerin genannt,
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