0581 - Der Blutstein
abgeben?«
»Genau.«
»Wer soll ihn bekommen?«
»Das behalte ich für mich, Dennis.«
Er nickte rein mechanisch, als würde ihn die Antwort überhaupt nichts angehen. Konnte ich ihm trauen? Nein, so weit ging meine Liebe nun doch nicht. Wenn ich in den Schacht klettere, würde es ihm nicht schwerfallen, den verdammten Deckel wieder auf den Eingang zu stülpen. Dann saß ich fest.
Als ich auf ihn zuging, wich er zurück und hob seine Arme, denn der Anblick eines Kreuzes gefiel ihm nicht. »Was… was willst du damit?« fragte er.
»Ich möchte es dir umhängen.«
»Nein, ich…«
»Doch, Dennis!«
Bevor ich mich versah, war er zur Seite getaucht. Noch eine kurze Drehung, mein Griff glitt ins Leere, dann war er verschwunden. Wie ein Wiesel tauchte er in die Dunkelheit. Sekunden später hörte ich das Knacken des Unterholzes, als er im nahen Wald verschwand.
»Du bekommst mich nicht, John. Nein, du nicht!«
Im Hellen hätte ich die Verfolgung aufgenommen. In der Nacht hatte es keinen Sinn, auch nicht bei Vollmond. Sein Licht reichte leider nicht aus, jeden Winkel und jedes Versteck auszuleuchten.
Ich ließ ihn laufen. Bestimmt würde er zurückkehren. Bis dahin jedoch wollte ich den Blutstein vom Grund des Schachts geholt haben.
Ein Vorgang, der innerhalb einer Viertelstunde über die Bühne laufen konnte, wenn alles gutging.
Die Steigeisen kamen mir vor, wie für mich gemacht. Wie kräftige Hände ragten sie aus den Steinen der Schachtmauer, bedeckt von einem rostigen Film.
Ich kletterte über den Rand hinweg, stützte mich auf dem rauhen Gestein ab, ließ den oberen Schachtrand los und suchte mit den Füßen den nötigen Halt.
Das Klettern in einen derartigen Schacht gehört zwar nicht zu meinen leichtesten Übungen, doch ich hatte darin eine gewisse Routine.
So etwas war mir schon öfter widerfahren.
Nur einmal glitt ich mit dem linken Fuß ab, wobei ich mir an einer anderen Sprosse das Knie stieß.
Aus der Tiefe her drang mir kein Modergeruch entgegen. Die frische Außenluft hatte auch den Schacht erfüllt, auf dessen Grund der Blutstein lag. Ich konnte es noch immer nicht fassen, wie einfach es im Prinzip war, den Blutstein zu holen. Weshalb hatte Will Mallmann sich dabei derartig schwer getan?
Auf halber Strecke schaltete ich die Lampe ein und klemmte sie unter das dehnbare Armband der Uhr. So hatte sie ihren festen Sitz.
Manche Sprossen bogen sich, wenn sie mein Gewicht spürten. Ich hörte auch das Rieseln, als der Rost sich löste und wie brauner Schnee in die Tiefe fiel. Ansonsten ging alles glatt.
Die letzten Stufen übersprang ich, spürte unter mir den Widerstand und hörte es leise knacken, als einer der Knochen brach. Die Lampe befand sich noch immer an ihrem außergewöhnlichen Platz.
Wenn ich den Arm bewegte, konnte ich damit leuchten.
Zunächst strahlte sie dem Boden entgegen. Das starke Licht wurde von den Knochen regelrecht aufgefangen. Die bleichen Gebeine sahen schaurig aus. Auch zwei Schädel lagen in der Nähe. Einer war von einem kräftigen Hieb zertrümmert worden.
Bevor ich mich nach dem Blutstein bückte, schaute und leuchtete ich in die Höhe.
Der Strahl erreichte den Ausstieg und floß auch über ihn hinweg, ohne allerdings ein Ziel zu treffen. Er wurde als blasse Lichtglocke von der Dunkelheit aufgesaugt. An den Rändern zeigte sich kein Mensch. Der Junge hatte sich zurückgezogen.
Ich bückte mich. Dabei machte der Lichtspeer die Bewegung mit und erwischte den Stein.
Direkt leuchtete er darauf!
Zum erstenmal sah ich ihn aus der Nähe und spürte das Prickeln auf meiner Haut. Es zog sich über den Nacken bis hinunter auf den Rücken, wo es in einem eisigen Frösteln endete.
Der Stein kam mir vor wie ein dreidimensionaler, erstarrter Blutfleck. Ein grauenhaftes Kleinod, das vor langer Zeit geschaffen worden war und überlebt hatte.
Mir kam das alte Blut in den Sinn, das Mallmann zu einem Vampir gemacht hatte. Der Stein mußte für ihn den gleichen Wert besitzen, sonst hätte er ihn nicht gewollt.
Meine Hände zitterten ein wenig, weil die innere Spannung einfach zu groß war. Sie mußte sich auch äußerlich zeigen. Vorsichtig berührte ich den Stein mit den Fingerspitzen, immer bereit, die Hände sofort zurückzunehmen, wenn irgend etwas Außergewöhnliches passierte.
Es geschah nichts. Ich konnte den Stein ohne Bedenken anfassen und ihn auch anheben.
Er fühlte sich auf meiner Haut warm an, als wäre das in ihm befindliche Blut temperiert. Lebte er
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