0581 - Der Blutstein
hinstellte.
Dennis hatte das Fenster längst passiert. Seine und die Füße des Toten schleiften durch das Gras.
Die beiden boten ein makabres Bild und wirkten wie ein Paar aus einer nächtlichen Filmkulisse.
Nur lief hier leider kein Streifen ab.
Ich mußte zusehen, daß ich aus dem Schloß rauskam.
Den Griff der Beretta umwickelte ich mit einem Taschentuch. Das Fenster war nicht groß. Es besaß die üblichen Ausmaße, eigentlich schloß-untypisch. Mit dem umwickelten Griff hämmerte ich gegen die Scheibe. Sie zersprang bereits bei der ersten heftigen Berührung.
Die Scherben segelten vor dem Schloß ins Gras.
Ich schlug noch Reste aus den Rahmenseiten und erkannte Dennis nur verschwommen, wie er sich im Mondlicht irgendwie tanzend und schwingend über die große Fläche bewegte.
Wieder freute ich mich darüber, nicht zu dick zu sein. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, durch das Fenster nach draußen zu klettern. Unangefochten blieb ich vor dem Schloß stehen.
Wo wollte der Junge mit der Leiche hin? Wo konnte man einen Toten verstecken?
In einem Keller, in einem Grab, in einem Schacht. Möglichkeiten gab es viele.
Ich dachte auch über den Grund nach, weshalb dieser Mann gestorben war. Gewissermaßen im Dienste des Blutsteins. Er sollte ihn mit seinem Lebenssaft füllen, ihm Kraft geben.
Ich hatte die Lösung und schnippte mit den Fingern. Klar, Dennis würde den Toten dorthin schaffen, wo sich der Blutstein befand.
Von Beginn an hatte er den Ort gekannt, mir aber nichts davon erzählt.
Dafür, daß er mit einer menschlichen Last beladen war, ging Dennis ziemlich schnell. Der weiche Untergrund dämpfte seine als auch meine Schritte, damit ich ihn unhörbar verfolgen konnte.
Er hielt sich, im Gegensatz zu mir, nicht im Schatten der Schloßmauer auf, die mich wie ein schützender Mantel umgab. Wenig später sah ich ihn. Er hatte das Schloß beinahe passiert und bewegte sich auf eine sich düster abzeichnende Grenze zu. Es war der nahe Wald, der undurchdringlich aussah und nur in Höhe der Baumkronen einen silbrigen Schein bekommen hatte.
Ich ging schneller, denn plötzlich war der Junge mit seiner schaurigen Last verschwunden.
Eine wild wuchernde Hecke hatte mir die Sicht geraubt. Nicht weit entfernt ragte einer dieser beiden Türme in die Höhe. Er wirkte wie ein überdicker Bleistift.
War Dennis im Turm verschwunden?
Das Tor bewegte sich nicht. Es stand ruhig und fest wie eine gewaltige Eiche.
Da war er also nicht gewesen!
Ich drückte mich um den Turm herum. Das Gras verschwand, meine Füße glitten über alte Steinplatten hinweg, und ich sah den Jungen dort, wo der Turm einer dicken Mauer Halt gab.
Die Leiche war von seiner Schulter gerutscht und lag am Boden. Er selbst stand neben ihr und starrte sie an.
Ich drückte mich tief in die Deckung der Mauer und atmete nur so flach wie möglich.
Es war ein guter Platz, den Dennis sich ausgesucht hatte, denn das Licht des Mondes schien sich allein nur auf ihn zu konzentrieren.
Die Waffe hatte der Junge nicht aus der Hand gelegt. Er benötigte sie noch und setzte sie als Hebel zweckentfremdet ein.
Flach schob er sie über den Boden. Erst durch das Gras, dann vernahm ich ein Kratzen, als das Lanzenschwert Gestein berührte.
Ich hörte Dennis keuchen und auch Worte murmeln. Seine Stimme kam mir dabei fremd vor. Leider verstand ich nichts, aber Dennis wußte genau, was er zu tun hatte.
Noch einmal ging er in die Knie und umfaßte die Waffe an einer bestimmten Stelle mit beiden Händen.
Er setzte sie diesmal nicht als Mordinstrument ein, sondern machte sich die Hebelwirkung zunutze.
Er hob etwas an.
Ich runzelte die Stirn, weil ich mit dem kreisrunden Gegenstand zunächst nichts anfangen konnte.
Sekunden später erkannte ich, daß Dennis so etwas wie einen Kanaldeckel angehoben hatte.
Allmählich sah ich klarer. Als der Deckel mit einem dumpfen Laut zur Seite kippte und im Gras verschwand, war mir klargeworden, daß der Junge den Eingang zu einem Schacht freigelegt hatte.
Ein Schacht war nicht grundlos angelegt worden. Wahrscheinlich, um etwas zu verbergen. Oder etwas hineinfallen zu lassen, wie Dennis Höller es vorhatte, denn er bückte sich wieder und hievte den Toten mit beiden Händen in die Höhe.
Soweit wollte ich es nicht kommen lassen.
Die Leiche befand sich in einer Kipplage, als ich mich aus der Deckung löste.
»Nein, Dennis«, sagte ich hart, »nicht so…«
***
Ob ich den Jungen mit meinem Befehl überrascht hatte
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