Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Prolog
N ebel, dicht und schwer, lag auf dem Dorf, den Feldern, Wiesen und Wegen, hüllte mit kaltem, feuchtem Mantel das bleierne Gemüt des trauernden Mannes ein.
Mit seinen Händen, mit Hacke und Spaten hatte er jeden Zoll weinend der winterharten Erde abgetrotzt. Tief genug hatte er graben müssen, um Wölfe und wilde Tiere auf ewig vom Grab seines geliebten Weibes fernzuhalten.
Gott der Herr aber wollte weder die Trauer des Mannes sehen, noch die Tränen des Knaben trocknen, der mit seiner schmalen Hand den warmen, rauen Zeigefinger des Vaters umklammerte.
Ein Mönch, der mit einer Tochter Evas im Stroh gelegen und in Sünde einen Bastard gezeugt hatte, verdiente kein Mitleid.
Nichts deutete mehr darauf hin, wer er einmal gewesen war. Seit er den Orden verlassen, sich der Tonsur entledigt und den Schädel kahl rasiert hatte, war viel Zeit vergangen. Das Haar war ihm nachgewachsen, die Kutte hatte er durch den Arbeitskittel ersetzt. Und dennoch, er hatte sich dem Herrn versprochen und sein Gelübde gebrochen.
Die Entscheidung für Mutter und Kind hatte er nie bereut. Geschah es ihm also recht, dass er nun das Weib verloren hatte, für das er seinen Gott einst verriet?
Er hatte sie geliebt. Mehr als den Herrn und mehr als sein Leben. Das wollte und konnte er nicht bereuen, damals nicht und heute noch weniger. Doch nicht ihn hatte der Sensenmann zur Strafe geholt. Ihr hatte er das Lebensband zerrissen, und um ein Haar hätte er auch das Kind zu sich genommen. Wie durch ein Wunder hatte der Knabe dem Tod schließlich getrotzt.
Vielleicht hatten die Gebete des Vaters doch geholfen.
Um Vergebung hatte der Abtrünnige seinen Gott immer wieder angefleht und in seiner Verzweiflung um das Leben seines Weibes geschachert. Hätte der Herr sie verschont, so wäre er ins Kloster zurückgekehrt. Nicht voller Reue über seinen Fehltritt, sondern in Demut vor der Macht Gottes. Doch der Herr war unbeugsam geblieben und hatte ihm die Frau entrissen.
Das glockenhelle Lachen des Knaben war seit jenem Tag verstummt, jedes Lächeln aus dem zarten Gesicht gewichen. Traurig und hilflos lenkte er nun den Blick zum Vater.
Für den Jungen musste er leben und sein Bestes geben, musste er sich aussöhnen mit Gott.
Nie wieder, so schwor er dem Herrn, rühre ich ein Weib an, kein Kind zeuge ich mehr. Deinen Namen will ich fortan mit meiner Hände Arbeit für die Ewigkeit lobpreisen – als Dank dafür, dass du mir den Jungen gelassen hast …
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
St. Edmundsbury, April 1224
C atlin betrat die Abtei durch das Abbey Gate. Überall drängten sich Menschen um Holzstände mit bunten Tuchdächern, an denen Essbares und Nützliches feilgeboten wurden, denn der Abt besaß die Genehmigung des Königs, im Hof des Klosters einen Markt abzuhalten. Dienstboten und Mägde liefen emsig umher, Besucher und Händler, die hofften, beim Abt vorsprechen zu dürfen, standen in Grüppchen beieinander, prahlten mit Geschichten von ihren Reisen oder priesen die Vorzüge ihrer Waren an. Unzählige Handwerker, Steinmetzen und Steinbrecher, Bildhauer und Mörtelmischer, Korbflechter, Kalkbrenner, Zimmerleute und Dachdecker waren seit der Errichtung der Abtei mit Umbauten, Ausbesserungen und dem Bau neuer Gebäudeteile beschäftigt. Den Schwarzschmieden, die in ihren offenen Werkstätten tätig waren, warf Catlin einen bewundernden Blick zu. Es war gewiss nicht leicht, sommers wie winters ungeschützt am Amboss zu stehen. Die Arbeit war ohnehin schon hart, doch mit kalten Fingern, halb erfrorenen Füßen und dem eisigen Zug des Windes im Rücken ganz sicher noch viel schwerer. Catlin wusste, was es bedeutete, ein Eisen zu schmieden. Ihr Vater war ein berühmter Schwertschmied, und obwohl sie ein Mädchen war, lernte sie das Handwerk von ihm. Die Werkstatt vor den Toren von St. Edmundsbury hatte er vor vielen Jahren von seiner Mutter übernommen. Über die Grenzen Englands hinaus war sie für ihre hervorragenden Schwerter berühmt gewesen, und nachdem William, ihr ältester Sohn, nicht Schmied, sondern Falkner geworden war, hatten alle ihre Hoffnungen auf Henry geruht, ihrem Zweitgeborenen. Der hatte seine Mutter nicht enttäuscht, und so war das kupferne Zeichen, ein bauchiges E, mit dem sie jede Klinge versehen hatte, noch immer das Wahrzeichen dieser Schmiede.
Eine Gruppe Benediktiner, die auf der anderen Seite über den Hof huschte, erregte Catlins
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