0599 - Die Burg der Schlange
zu stehen und das Haus anzustarren?«
»Oh… nein«, sagte Jessica, der es sichtlich schwerfiel, sich von dem erhebenden Anblick des Anwesens loszureißen.
Sie faßte ihren Rucksack fester und eilte Sylvia nach.
»Wir kommen schon. Nicht wahr, Jack?«
Er grunzte zustimmend und ging hinter den beiden Frauen die Treppe hinauf.
Nach zweiundzwanzig Stufen oben angelangt, sah er, wie Sylvia die Hand hob, um zu klopfen. Doch bevor sie dazu kam, schwang eine Hälftte des aus Eichenbohlen gezimmerten Portals mit einem Mal leise quietschend nach innen auf.
Ein warmes, gelb weißes Licht drang nach draußen in die Nacht.
In dem Spalt stand eine junge Frau - fast noch ein Mädchen wie Jessica -, die beinahe so schön wie Sylvia war, allerdings auf eine vollkommen andere Art.
Schulterlanges, glattes Blondhaar umrahmte ein schmales, ausdrucksstarkes Gesicht mit großen, tiefblauen Augen, einer geraden, neckisch kleinen Nase und vollen Lippen, die so rot glänzten wie frisch vergessenes Blut im Schein einer Gaslaterne.
Ihre zierliche, jedoch an den richtigen Stellen perfekt proportionierte Gestalt wurde von einem weiten Gewand aus roter Seide bedeckt. Es schmiegte sich wie eine Mischung aus Nachthemd und Bademantel an ihren Körper.
Sehr zu Jacksons Gefallen war der Stoff so dünn, daß er problemlos hindurchsehen konnte - was er allerdings tunlichst vermied, um sich nicht durch ein hochrotes Gesicht zu verraten.
»Hallo, Sandra«, sagte Sylvia und ging an der attraktiven Blonden vorbei ins Haus. Jessica und Jackson folgten ihr wie Hündchen auf dem Fuße. »Schön, daß du noch auf bist! Dann kann ich dir nämlich gleich unseren Besuch vorstellen.«
Sie deutete mit einer beiläufigen Geste nacheinander auf die Jugendlichen.
»Das sind Jessica und Jackson«, klärte sie Sandra auf. »Sie werden heute hier übernachten.«
Sandra, die das Portal inzwischen wieder geschlossen hatte, lächelte die beiden jungen Leute freundlich an. »Wie schön! Wir hatten schon viel zu lange keine Gäste mehr!« Die Blonde wandte sich an Sylvia. »Das große Gästezimmer?«
Sylvia nickte.
»Unbedingt.« Zu Jessica und Jackson sagte sie: »Ich denke, ihr solltet erst mal eure Taschen nach oben bringen und euch ein wenig frisch machen. Anschließend können wir uns in der Bibliothek einen kleinen Schlummertrunk gönnen, wenn ihr mögt.«
Jessica lächelte. »Natürlich! Sehr gerne!«
Sie fühlte sich, als wäre sie mitten im Paradies gelandet.
»Schön«, sagte die Hausherrin erfreut. »Dann bis gleich. Sandra wird euch den Weg zu eurem Zimmer zeigen.«
Damit wandte sich die Schwarzhaarige um, durchquerte die riesige Eingangshalle des Hauses, an deren Wänden alte Knüpfteppiche hingen, und verschwand in einem Gang zur Linken.
***
Die beiden jungen Leute schauten Sylvia, der Hausherrin, bewundernd nach. Bis Sandra, anscheinend so eine Art Gesellschafterin der Traumfrau, sie bat, ihr zu folgen und eine breite, gewundene Treppe hinaufging. Sie führte in den ersten Stock.
Jessica und ihr Freund folgten Sandra mit staunend geöffneten Mündern, ihre Rucksäcke wie Rettungsanker der Realität an sich gepreßt. Sie waren kaum imstande, zu begreifen, daß sie offenbar das ganz große Los gezogen hatten - zumindest für diese Nacht.
Im ersten Stock angelangt, führte Sandra sie einen Korridor entlang, der mit dicken Teppichen ausgelegt war und dessen Wände Gemälde mit klassischen Jagdmotiven schmückten.
Sie gelangten an eine breite Doppeltür auf der rechten Seite.
Die Blonde griff nach den Knäufen, drehte sie und stieß die beiden Türhälften mit einer eleganten Geste nach innen auf.
»Voilà!« sagte Sandra. »Da wären wir!«
Unsicher traten die beiden Jugendlichen über die Schwelle und sahen sich um.
Das Zimmer war riesig, wie offenbar alles in diesem Haus. Es maß mindestens soviel wie ein Tennisplatz.
Die gewölbte, stuckverzierte Decke, von der ein gewaltiger Kronleuchter baumelte, mochte gut und gerne dreieinhalb Meter hoch sein. Der Fußboden bestand aus Holz. Links an der Wand hing ein großer Spiegel mit Goldrahmen. Daneben thronte ein Kleiderschrank, in dem man mühelos eine Fußballmannschaft inklusive Ersatzspieler unterbringen konnte. Die rechte Wand hingegen wurde vön einem riesigen offenen Kamin beherrscht, vor dem zwei wuchtige Ohrensessel ihren Platz gefunden hatten.
In der Ecke stand ein alter Sekretär aus massivem Eichenholz, davor ein ebenfalls antiker Stuhl.
Die mannshohen Fenster wurden von
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