06 - Weihnacht
meinen Tod; er wird ihn von den Krähenindianern verlangen. Nach allem, was ich Ihnen vorhin erzählt habe, glaube ich nicht, daß sie darauf eingehen werden. In diesem Falle nun ist es bei den meisten Indianerstämmen Gepflogenheit, daß zwischen dem, welcher sterben soll, und dem, welcher seinen Tod fordert, ein Kampf stattfindet, welcher nicht eher aufhören darf, als bis einer von beiden liegen bleibt. Diese Zweikämpfe haben ja nach den Waffen und Bedingungen verschiedene Namen. Ich halte es für ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß Peteh in seiner Wut, mich schon halb frei zu sehen, einen solchen Kampf fordert, wenn die Krähen nicht darauf eingehen, mich, und zwar bald, am Marterpfahle sterben zu lassen.“
„So bitte, sagen Sie: Fürchten Sie sich?“
„Nein.“
„Gar kein bißchen?“
„Nein. Der Mensch soll nur das tun, was nützlich ist, und da es gar nicht nützlich ist, sich zu fürchten, so habe ich mir die Furcht schon gleich gar nicht angewöhnt. Dieses Thema habe ich bloß berührt, um Ihnen den Gedanken nahezulegen, daß Sie doch vielleicht Ihr Verbandszeug noch in Anwendung bringen können. Jetzt nun wollen wir das Beste tun, was wir können, nämlich schlafen!“
Es war sehr kalt geworden. Glücklicherweise hatten wir unsere Decken wieder bekommen. Ich wickelte Carpio in die seinige, schlang die meinige noch darüber und gab ihm meinen Sattel zum Kopfkissen; das hatte zur Folge, daß er die ganze Nacht hindurch ganz prächtig schlief. Ich hatte während des Rittes vom Fleischwasser bis hierher keine richtige Ruhe gehabt und schlief darum auch ganz leidlich, obgleich ich von der Kälte aufgeweckt wurde.
Als wir aufwachten, war es ziemlich spät, und es herrschte schon reges Leben im Lager. Wir gingen nach dem Bache, um uns zu waschen, und bekamen hierauf unsere Fleischportionen. Dann suchte ich den Häuptling auf, um ihn zu fragen, ob er schon Boten nach dem Salbei-Flusse geschickt hatte. Er hatte es getan; sie waren zeitig aufgebrochen, konnten aber leider erst in fünf bis sechs Tagen wieder zurück sein.
„So lange müssen wir warten, ehe ich weiß, ob ich Peteh als Feind zu betrachten habe“, sagte er. „Mein Herz sehnt sich nach dieser Gewißheit. Wenn die Blutindianer wirklich die Mörder sind, werden nicht viele von ihnen lebendig heimkehren!“
„Du wirst dich doch wohl begnügen, dir die eigentlichen Mörder ausliefern zu lassen. Unschuldige tötet man nicht!“
„Unschuldige? Welcher von den hundert, die gekommen sind, darf unschuldig genannt werden? Sie wissen alle, wer meine Krieger ermordet hat. Sind sie da nicht mitschuldig?“
„Hm! Es ist freilich eine unverzeihliche Schlechtigkeit von Ihnen, deine Rache auf die unschuldigen Schoschonen zu lenken und dir bei der Ausführung derselben auch noch behilflich zu sein. Du wirst dich da mit dem Häuptling dieser roten Krieger beraten müssen.“
„So meinst du wirklich, daß sie kommen?“
„Ja.“
„Von Wagare-Tey, ihrem jungen Kriegshäuptling angeführt?“
„Das dachte ich erst. Da aber diese Angelegenheit so wichtig ist, viel wichtiger, als ich glauben konnte, so ist es möglich, daß Avaht-Niah, der alte Häuptling, selbst auch mitkommt, obgleich er schon über achtzig Winter zählt.“
„Wie wird er sich verhalten?“
„Wenn du dein Unrecht eingestehst und ihm für seine bei euch am Marterpfahle gestorbenen Leute Ersatz bietest, so wird er auf die Fürbitte des Häuptlings der Apatschen wohl geneigt sein, sich mit dir auszusöhnen. Bist du aber nicht bereit dazu, so wird es zu einem blutigen Kampfe kommen, der dir mehr als die Hälfte deiner Leute kosten kann.“
„Uff!“
„Ja, ich weiß, was ich sage. Bedenke, daß Winnetou auf der Seite der Schoschonen steht! Seine List und seine Kunst, eine Schar zum Siege zu führen, wiegen Hunderte von Kriegern auf; das weißt du ja ebenso wie ich. Er versteht es, dem Feinde Fallen zu stellen, die jeder andere für unmöglich halten würde.“
„Das würde aber zu deinem Schaden sein!“
„Wieso?“
„Wenn Winnetou feindlich gegen uns aufträte, würden wir dich, seinen Freund und Bruder, natürlich auch als Feind behandeln!“
„Pshaw!“
„Uff! Du lachst? Meinst du, daß uns das nicht möglich wäre?“
„O doch! Aber klug wäre es nicht von euch, denn Winnetou würde dann die strengste Rechenschaft fordern. Übrigens ist es jetzt gar nicht an der Zeit, hiervon zu sprechen.“
„Ja, denn du hast mir bis zur Versammlung dein Wort gegeben.
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