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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Prolog
     
    Zum erstenmal erblickte ich England in einer nebligen Märznacht des Jahres 1973. Ich kam mit der Mitternachtsfähre aus Calais. Zwanzig Minuten lang herrschte im Ankunftsbereich hektisches Treiben, Autos und Lastwagen strömten heraus, die Zöllner versahen ihren Dienst, und alle Leute drängten zur Straße nach London. Dann trat urplötzlich Stille ein, und ich wanderte durch schlafende, schlechtbeleuchtete Straßen, durch die der Nebel waberte wie in einem Bulldog-Drummond-Film. Herrlich, ich hatte eine englische Stadt ganz für mich allein!
    Ein wenig verstörend war nur, daß offenbar schon alle Hotels und Gästehäuser für die Nacht geschlossen hatten. Ich ging zum Bahnhof, weil ich noch einen Zug nach London erwischen wollte, aber dort war ebenfalls alles dunkel und verrammelt. Während ich dastand und überlegte, was ich tun sollte, bemerkte ich das graue Licht eines Fernsehers im oberen Fenster einer Pension. Hurra, dachte ich, da ist noch jemand wach, und eilte hinüber. Für den Besitzer legte ich mir eine demütige Entschuldigung wegen meiner späten Ankunft zurecht und malte mir schon unseren heiteren Dialog aus. Unter anderem folgende Zeile: »Nein, ich kann doch nicht von Ihnen verlangen, daß Sie mir um diese Zeit noch etwas zu essen machen. Nein, ehrlich – na gut, wenn Sie meinen, also, wenn es Ihnen wirklich keine Mühe bereitet, dann nehme ich vielleicht ein Roastbeef-Sandwich und ein wenig Kartoffelsalat mit einer großen Gewürzgurke. Und eine Flasche Bier.« Der Eingangsweg war pechschwarz, und in meinem Eifer und meiner mangelnden Vertrautheit mit britischen Türeingängen stolperte ich über eine Stufe, krachte gegen die Tür und schickte ein halbes Dutzend leerer Milchflaschen klirrend zu Boden. Prompt öffnete sich das obere Fenster.
    »Wer ist da?« ertönte eine strenge Stimme.
    Ich trat zurück, rieb mir die Nase und starrte auf eine Schattengestalt mit Lockenwicklern. »Guten Abend, ich suche ein Zimmer«, sagte ich.
    »Wir haben geschlossen.«
    »Oh.« Und mein Abendessen?
    »Versuchen Sie es mal beim Churchill. Da vorne.«
    »Wo vorne?« fragte ich, aber schon knallte das Fenster wieder zu.
    Das prächtige, hellerleuchtete Churchill war auf nächtliche Gäste eingestellt. Durchs Fenster erspähte ich ein paar Männer in Anzügen, die weltmännisch elegant an der Bar standen. Da fühlte ich mich gleich wie der letzte Penner und blieb unschlüssig im Dunkeln stehen. Klamot-tenmäßig paßte ich nicht in ein solches Ambiente, und es lag auch außerhalb meiner bescheidenen finanziellen Möglichkeiten. Erst am Vortag hatte ich in der Picardie einem Hotelier mit verschmitzten Äuglein ein außergewöhnlich pralles Bündel farbenprächtiger Francs ausgehändigt, als Obolus für eine Nacht in einem durchgelegenen Bett und eine Portion blanquette de chasseur, ein mysteriöses Ragout, das aus den Knochen diverser kleiner Tiere bestand, von denen ich ein Gutteil heimlich in einer großen Serviette verschwinden ließ, um nicht unhöflich zu erscheinen. Ich hatte beschlossen, hinfort vorsichtiger mit meinen Ausgaben zu sein. Widerstrebend kehrte ich also der einladenden Wärme des Churchill den Rücken und trottete ab in die Dunkelheit.
    Weiter hinten an der Marine Parade stand ein überdachtes, ansonsten aber den Elementen preisgegebenes Buswartehäuschen, und ich schloß messerscharf, daß ich etwas Besseres nicht mehr kriegen würde. Ich legte mich hin, benutzte meinen Rucksack als Kopfkissen und zog meine Jacke eng um mich zusammen. Die Bank war aus harten Latten und mit großen runden Schrauben bestückt, was – zweifellos mit Absicht – eine bequeme Ruhelage unmöglich machte. Ich lag lange wach, lauschte, wie das Meer unter mir an den Kieselstrand schlug, und schlief schließlich ein. Es wurde eine lange, kalte Nacht, in der mich unruhige Träume plagten. Ich wurde über arktische Treibeisschollen von einem Franzosen verfolgt, der verschmitzte Äuglein, eine Schleuder, einen Beutel Schrauben und eine unheimliche Zielsicherheit besaß und mir wiederholt Hiebe auf Hinterteil und Beine versetzte, weil ich eine Leinenserviette gestohlen und sie voll durchsuppendem Essen in der hintersten Ecke einer Kommodenschublade in meinem Hotelzimmer versteckt hatte. Gegen drei Uhr erwachte ich nach Atem ringend, von Kopf bis Fuß steif und bebend vor Kälte. Der Nebel war weg, die Luft still und klar, am Himmel funkelten Sterne. Ein Lichtstrahl vom Leuchtturm am anderen Ende der

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