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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kam, und entfernte mich, aber langsam, daß es ja nicht aussehen sollte, als ob ich mich vor ihm fürchte.
    Der Häuptling der Kikatsa ahnte gar nicht, wie eindrucksfähig er sich gegen mich verhalten hatte. Ich hätte ihn in meiner Hand ganz nach Belieben formen können. Er wollte es verschweigen, hatte aber einen heillosen Respekt vor uns. Auch war er vollständig davon überzeugt, daß Winnetou gestern abend die Wahrheit gesagt hatte, denn wenn er auch nur ein wenig noch im Zweifel gewesen wäre, hätte er Peteh jetzt nicht einen Hund genannt. Ich wußte, daß ich von ihm nichts Schlimmes zu erwarten hatte.
    Ich saß dann mit Carpio und Rost vor unserer Hütte, doch nicht lange, so kam Yakonpi-Topa zu uns und sagte mir, daß Peteh die Beratung über uns für heut verlangt habe.
    „Was soll ich ihm antworten?“ fragte er mich.
    Also, es war schon so weit zu unsern Gunsten gekommen, daß der Häuptling ohne mein Wissen keinen Bescheid geben wollte!
    „Erst muß ich wissen, was du zu ihm gesagt hast“, erklärte ich.
    „Ich teilte ihm mit, daß ich die Krieger, welche an der Beratung teilzunehmen haben, fragen und ihm dann einen Boten senden werde.“
    „Das war richtig. Eigentlich müßten wir die Entscheidung so weit hinauszögern, bis deine Boten zurückgekehrt sind.“
    „Sechs Tage? Das ist unmöglich!“
    „Leider!“
    „Er drohte, mit seinen Kriegern fortzuziehen, wenn wir uns weigerten, nach seinem Willen zu handeln.“
    „Wir dürfen sie nicht fortlassen!“
    „Nein; aber soll ich sie mit Gewalt festhalten?“
    „Auch nicht. Es ist jeder Zwang, also jeder Kampf, zu vermeiden, wenigstens jetzt.“
    „Was kann ich da tun?“
    „Versuche, Zeit zu gewinnen!“
    „Er wartet nicht; er will euern Tod, und zwar so bald wie möglich!“
    „Versuch es dennoch! Nur wenn es ganz unmöglich ist, ihn länger hinzuhalten, mußt du die Versammlung zusammenrufen. Ich werde doch auch geholt?“
    „Warum du?“
    „Weil ich auch sprechen will.“
    „Das ist nicht nötig.“
    „Nicht? Man muß jeden Angeschuldigten die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen.“
    „Ich werde für dich sprechen, und das wird so gut sein, als ob du selber redetest. Old Shatterhand ist kein gewöhnlicher Krieger, der sich vor so einem Hunde, wie dieser Blutindianer ist, zu verteidigen hat. Howgh!“
    Er entfernte sich. Ich mußte lächeln, denn ich durchschaute ihn. Es war vorauszusehen, daß er Peteh gegenüber einen schweren Stand haben werde, und ich sollte nicht dabei sein, weil er es mich nicht merken lassen wollte, durch welche Verlegenheiten er sich hindurchzuwinden hatte.
    Kurz vor Mittag kam er wieder, um mir zu sagen, daß Peteh nur bis zum Abend warten wolle. Und um diese Zeit erfuhr ich wieder von ihm, daß der Blutindianer nur noch bis morgen früh Geduld haben werde; er habe ein Howgh daraufgesetzt, daß er dann unbedingt mit seinen hundert Mann fortreiten werde, falls man da noch länger zögere, sein Verlangen zu erfüllen. Da war nun freilich nichts anderes zu beschließen, als ihm den Willen zu tun. Man konnte dann immer noch Zeit gewinnen, denn die Entscheidung des Rates der Alten war noch lange nicht gleichbedeutend mit der Ausführung des Urteilsspruches.
    Also es stand nun fest, daß morgen früh über unser Schicksal beschlossen werden solle. Es war mir zwar nicht bange, aber man kann nie wissen, was der nächste Augenblick bringt, und so war es auch nicht unmöglich, daß sich bis dahin für uns ungünstige Eventualitäten einstellen konnten; ich hütete mich jedoch, meine Gefährten auf dergleichen Zufälle hinzuweisen; sie sollten ohne alle Beunruhigung sein. Der Tag verging, und wenn ich meine Schlüsse aus dem hochachtungsvollen Benehmen der Upsarokas zog, brauchte ich keine Besorgnis zu hegen. Sie waren alle überzeugt, daß die Blutindianer die Mörder seien, und hielten da natürlich nicht zu diesen, sondern zu uns.
    Carpio hatte sich seit gestern leidlich erholt; er behauptete, bloß meine Gegenwart genüge, ihn wieder gesund zu machen. Es machte dem lieben Kerl förmlich Spaß, daß die ‚Verwechslung‘ so weit getrieben werden sollte, daß für morgen eine Beratung über unser Leben auf dem Schwarzen Brette stand. Ich störte natürlich die Fröhlichkeit nicht, die ihm dadurch bereitet wurde. Er schlief wieder die ganze Nacht hindurch.
    Früh saßen wir, nachdem wir uns gewaschen hatten, so wie gestern vor der Tür, um da unser Frühstück zu verzehren und das Treiben des Lagers zu beobachten.

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