06 - Weihnacht
sogar seinem Sohne wöchentlich zwei Stunden Nachhilfeunterricht erteilen, wofür ich Sonnabends in der Küche Reis mit Rindfleisch bekam und dann als Nachgenuß der Lieblingskatze seiner Frau den Rücken kratzen durfte; aber falls der ‚Löbliche‘ meine Befürchtung zur Wahrheit werden ließ, so war für nichts mehr, weder für den Reis noch für die Katze einzustehen!
So also türmten sich die Wetterwolken immer schwärzer und drohender über mir zusammen, und als der erste November kam, war er, wie ich heut noch weiß, ein zwar kalter aber sonniger Herbsttag, in meinem Innern aber schneite es schwere, große Flocken, nicht heller Schnee, sondern es war ein ganz anderer und viel dunklerer Stoff. Nun konnte ich die Tage, nein, die Stunden zählen; sie wurden mir zu Ewigkeiten; aber irdische Ewigkeiten gehen vorüber, diese also auch. Und nun kommt es – – – es ist da; das fürchterliche Verhängnis nämlich!
Es war am sechsten November, nach der letzten Vormittagsstunde, als ich zum ‚Alten‘ gerufen wurde. Zwei Treppen hinauf, jede zwanzig Stufen, auf jede zwanzig Schläge meines Herzens, macht in Summa achthundert; weniger sind es wahrscheinlich nicht gewesen. Ich klopfte an, trat ein und – – – sah nichts, weil meine Augen nebelten. Es vergingen einige Augenblicke; der Nebel teilte sich, und ich sah den Gewaltigen mit Augen, als ob er mich durchbohren wolle, vor mir stehen.
„May!“ erklang es in seinem tiefsten Baß.
Ich verbeugte mich. Was ich für ein Gesicht gemacht habe, das weiß ich nicht, denn nur er hat es gesehen und mir nichts darüber angedeutet.
„May!“
Ich verbeugte mich wieder.
„May!!!“
Dritte Verbeugung; aber nun war ich entschlossen mich nicht mehr zu bücken.
„Sie – – sind – ja – – ein – – ganz – – –“
Ich sah ihn so scharf an, daß er innehielt; beleidigen wollte ich mich auf keinen Fall lassen. Da lachte er und fuhr in einem ganz andern Tone fort:
„Geht mich eigentlich nichts an, ganz und gar nichts; ist nur Ihre Privatsache, wenn Sie sich mit Blamagen herumriskieren. Warum auch nicht? Sie sprechen ja stundenlang in Knüppelversen, und Ihr Deutsch – – – hm! Aber Sie hätten es mir doch wenigstens vorher zur Durchsicht geben können!“
„Das Gedicht?“ fragte ich.
„Natürlich! Ich hätte die Fehler angestrichen, die noch drinstecken und von dem Redakteur gar nicht bemerkt worden sind. So ein Mensch weiß ja gar nicht, was zu einem guten Gedicht gehört; woher sollte er es auch wissen? Kuh – – Muskate – –!“
„Es ist also zurückgeschickt worden?“
„Ja, im Probedruck, welches man Korrektur oder Revision nennt. Dabei ein Brief, nicht an Sie, sondern an mich. Sie bekommen ihn natürlich nicht zu lesen – – – fällt mir gar nicht ein! Ich werde antworten, daß zwar Ihr Name, aber sonst weiter gar nichts unter das Gedicht gesetzt werden darf; Sie verfallen sonst dem Tintenteufel, der der schlimmste von allen Teufeln ist. Haben mehr zu tun, als Gedichte zu machen! Junges Bürschchen!“
Ich holte tief, tief Atem. Also meine Zweiunddreißig waren angenommen worden! Dritter Preis zehn Taler – – –! Mir wollte es wieder vor den Augen nebeln! Da fuhr er fort:
„Was ich sagen wollte: Werde Ihnen die Nachhilfestunden von jetzt an bar bezahlen, zweimal fünf, also zehn Groschen. Den Sonnabendtisch behalten Sie trotzdem. Werde Sie wegen Ihrer Kühnheit und dem Gedichte später noch extra vornehmen; ich habe jetzt keine Zeit; muß zu Tische gehen. Hier ist das Geld. Nun gehen Sie!“
Er gab mir ein Kuvert in die Hand. Ich bedankte mich mit vor Aufregung heiserer Stimme und schoß zur Tür hinaus, nachdem ich eine ganz besonders tiefe Verbeugung gemacht hatte, der ich doch vorhin fest entschlossen gewesen war, keine mehr zu machen.
Wie ich die Treppe hinunter und dann in meine ‚Bude‘ gekommen bin, das weiß ich selbst heut noch nicht. Ich öffnete das Kuvert. Was war darin? Ein kurzes Schreiben der Redaktion und drei Zehntalernoten! Die schreckliche, große, blaue Kröte hatte, wie jede Kröte im Märchen, Geld für mich bedeutet – – nicht den dritten, sondern den ersten Preis.
Was ich tat als ich wieder ruhig geworden war? Die Antwort ist nicht nötig! Ich habe weder in guten noch in schlimmen Lagen jemals vergessen, daß das Gebet eine heilige Pflicht ist und Erleichterung bringt.
Und wie es – wenigstens dem Sprichworte nach – mit dem Unglücke ist, so ist's
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